Ich hatte ja überlegt, ob ich einfach den Text zu dem anderen „puh!“ Eintrag nachliefere. Aber so wird’s eigentlich klarer, und vielleicht wird der andere Beitrag mal von einem Kritiker entdeckt und wegen seiner „prägnante Emotion“ gelobt. „puh!“ habe ich auf dem Handy geschrieben, als der harte Teil der Nacht endlich vorbei war. Der Wind hatte nachgelassen (weil näher an der Küste, aber auch einfach weil ca. 3:00, und der heftigste Teil damit vorbei war), wir waren vom sizilianischen Mobilfunknetz abgedeckt, hatten die aktuelle Windprognose geprüft, und beschlossen, dass nun unter Motor weiter zu fahren eine sinnvolle Lösung war, und nicht einfach die feige. Was war ich dann beruhigt. Nicht dass die Nacht wirklich gefährlich gewesen wäre, oder wir Angst hatten, aber … immer der Reihe nach.
Es ist Sonntag, der 27.9.2020, Frank hat heute Geburtstag, aber ist eh nicht so das Party-Animal. Ich glaube es taugt ihm, größere Teile des Tages außerhalb der Abdeckung des Mobilfunknetzes zu verbringen. Wir müssen Malta verlassen, und uns wieder nach Sizilien aufmachen, da wir am Dienstag dort eine Mitfahrerin aufsammeln. Der Samstag war von den Windprognosen so, dass es wirklich dämlich gewesen wäre, über die Straße von Malta zu Segeln, aber am Sonntag sagen die Prognosen ein Abflauen des Windes vorher, aber so, dass noch genug zum Segeln da ist. Wir stehen um halb sieben auf, organisieren noch ein paar Sachen, und laufen um 9:00 aus dem Hafen Mgarr auf Gozo aus. Wie vorhergesagt kommt der Wind anfangs aus Süd, und wir fahren parallel zur sizilianischen Küste, aber auf der maltesischen Seite. So wollen wir möglichst viel Höhe gewinnen, um dann – wenn der Wind auf West dreht – gut nach Norden Richtung Marsala zu segeln. Nach ca. drei Stunden verschwindet die Abdeckung von Gozo vor den Wellen aus Süd, und es beginnt ordentlich zu schaukeln. Mittagessen besteht aus einem abgerissenen Stück Brot und etwas Salami, am Steuer reingemampft. Da die Nacht etwas kurz war (a bisserl rein’gefeiert‘, also Rum getrunken), fangen wir recht schnell mit dem Schichtsystem an. Einer hat Wache, der andere schläft. Der Wachhabende hat seinen AIS MOB Notsender in der Tasche (war für mich ein Geburtstagsgeschenk); würde man ins Wasser fallen funkt der ein Notsignal an unser Schiff, inklusive Position.
Die Südwindphase ist easy – es ist Tag, die Wellen noch nicht schlimm, hauptsächlich noch lange Dünung der Tag zuvor. Am späten Nachmittag verabschiedet sich der Wind mit einem plötzlichen Flautenloch (das Auge des Sturms, oder zumindest des starken Windes); es fängt an aus Kübeln zu schütten. Frank, der am Steuer steht, wird patschnass bevor ich ihm sein Ölzeug bringen kann. Wir fahren weiter unter Motor, es wird dunkel. Da es weiter schaukelt, wird von Hand gesteuert, und langsam kommt der angesagte Westwind auf. Irgendwann zupft mich Frank wach (unsere bewährte Lösung – der Schlafende hat eine Schnur um’s Handgelenk, und kann damit von dem hintern Steuer wachgezupft werden), ob ich mal auf dem Plotter unten die AIS Kontakte checken kann, ob uns da was zu nahe kommt. Steuern ist inwischen so anspruchsvoll, dass man nicht mehr nebenher das Navi am Steuerstand bedienen kann. Der AIS Kontakt ist kein Problem, aber ich könnte noch schnell bei einer Wende helfen. Im Schlafgewand mit Rettungsweste und Lifebelt komme ich ins Cockpit. In den letzten paar Minuten hat der Wind ordentlich zugenommen, wir sind jetzt bei zwischen 25 und 30 Knoten, das ist schon „steifer Wind“ mit 7 Beaufort. Es pfeift, wir brüllen uns aus 1,5 Meter Entfernung im Cockpit an. Wir haben noch das ganze Vorsegel draußen, die Kräfte, die jetzt an den Schoten ziehen, sind enorm. Wenn man jetzt seine Finger falsch in die Schot (Seil, welches das Segel nach hinten zieht) bekommt, sind sie ab, oder zumindest dunkelblau. Wir verbocken die Wende, beschließen derweil zu reffen, reduzieren also die Segelfläche. Alles geht jetzt nur noch mit Winsch und Kurbel, von Hand lässt sich da nix mehr ziehen. Nach intensiven Minuten ist unser Vorsegel nur noch bettlakengroß, die Seestern schiebt aber dennoch ordentlich Lage (vom Wind zur Seite gekippt), und es scheppert und rumpelt. Das bittere dabei: Auch wenn alles pfeift und windet – man würde denken jetzt wird man immerhin mit ordentlich Speed belohnt – durch die Wellen wird man nur langsamer. Frank bleibt noch zwei Stunden, bis Mitternacht, am Steuer und bekommt somit das heftigste des Wetters ab. Ein denkwürdiges Geburtstagsende; Festmahl des Tages: zwei Kanten Brot, ein Rad Salami und ein Stück Schokolade.
Ich versuche derweil unten etwas zu schlafen. Bei unseren Wendeversuchen hat sich das Schiff ordentlich auf die Seite gelegt; obwohl wir versucht hatten, alles ordentlich zu verstauen, hat sich ein beträchtlicher Teil des Hausrats auf dem Boden verteilt. Wir lassen alles liegen, was nicht zerbrechen kann. In der Spüle gurgelt ab und zu etwas Wasser hoch, man sollte das Seeventil schließen, aber das ist so schlecht erreichbar; ich beobachte das schwappende Wasser und beschließe, dass es keine Gefahr darstellt. Die Geräuschkulisse unter Deck ist intensiv. Man hört das Wasser am Schiff vorbeirauschen. Wegen der Krängung und den Wellen sind auch öfters die Bullaugen im Rumpf unter Wasser, hier fließt das Wasser nicht schön vorbei, sondern gurgelt hörbar. Ab und zu flattert das Vorsegel, wenn in einem Wellental die Anströmung plötzlich verschwindet oder abgelenkt wird. Am Steuern hört sich das halt wie laut flatternder Stoff im Wind an. Unter Deck hört man hauptsächlich das Ruckeln am Rig. Harte, dumpfe, metallische Schläge, nicht zu überhören. Zu anderen Zeiten kollidiert man mit einer Welle, oder Wellen entziehen dem Schiff das Wasser in dem es schwimmt, und man kracht laut eine Etage tiefer auf’s Wasser. Alle paar Minuten trifft man so in eine Welle, dass es am luvseitigen (also dem Wind zugewandten) Bug kräftig nach oben spritzt, das Wasser verteilt sich dann wie ein Wolkenbruch laut prasselnd über das ganze Schiff. Bei der Gelegenheit müssen wir feststellen – die Hallberg-Rassy ist ein sehr solides Schiff – es ist zwar laut, aber Sorgen hat man keine. Allerdings – die SEESTERN ist nicht ganz dicht. An vielen Ecken tropft es rein, unsere neuen Polster bekommen ihre wahre Belastungsprobe, und sind wohl mittlerweile als eingeweiht zu bezeichnen. Ein paar der Tropfen sind selbsverschuldet. So ist die Luke über meinem Salonbett (unserem – bei dem Wind ist es der einzige Ort am Schiff wo man sich hinlegen kann, durch die Lage in ein „V“ zwischen Liegefläche und Rücklehne gebettet) zwar zu, aber nicht komplett verriegelt. Bei jedem Prasseln verteilt sich ungefähr ein Stamperl Seewasser über meinen Bauch und die Rückenlehne. Das lässt sich abstellen, aber auch an anderen Ecken finden sich Tropfspuren. Allerdings – sich im Schiff zu bewegen ist gerade sehr anstrengend, und ich kann mich jetzt nicht motivieren, mit einer Taschenlampe die Ursachen zu ergründen. To do: in einer Marina, wo das Wasser im Preis inkludiert ist, alle Verdachtspunkte mal ordentlich anspritzen. Obwohl die Geräuschkulisse und das Restadrenalin dem Schlaf nicht zuträglich sind, nicke ich wohl irgendwann ein.
Wieder werde ich durch ein Zupfen geweckt. Frank brüllt mich an, ich soll mich mal um ein AIS Kontakt kümmern. Ich schaue auf unseres Gerät unten am Navitisch, ja da ist was, fünf Meilen entfernt, würde uns bedenklich nahe kommen. Frank brüllt mein schlaftrunkenes ich an, ich soll ihn anfunken. Tatsächlich sind die Regeln ja so, dass ein Motorschiff unserem Segelschiff ausweichen muss. Das gilt auch für 400m lange Containerschiffe. Ich habe mir den Namen nicht wirklich gemerkt, irgendwas arabisches, was ich sicherlich verhuntze, sagen wir mal „Al-Jumerai“. Ich funke auf dem Not- und Anrufkanal 16 „Al-Jumerai, Al-Jumerai, Al-Jumerai, this is Seestern, come in please“. Ganz falsch habe ich es wohl nicht ausgesprochen, denn er meldet sich zurück. Wir wechseln auf Kanal 6, ich erkläre ihm, dass wir ein Segelboot unter Segeln sind, fünf Meilen vor seinem Steuerbordbug, und wir uns gefährlich nahe kommen würden. Er antwortet freundlich, ja, jetzt sieht er uns, don’t worry, they will take care. Über hunderttausend Tonnen Stahl ändern den Kurs, die Al-Jumerai fährt weit vor unserem Bug vorbei. Frank, der schon mehrere Angebote der Ablösung abgelehnt hat, meint nun, dass die Ablösung jetzt gut tun würde. Wir haben zwar kein festes Schichtsystem, aber um 0:00 sind auch vier Stunden Wache vorbei. Ich verpacke mich in mein komplettes Ölzeug, schiebe mir noch eine Handvoll Brot in den Rachen, und gehe hinters Steuer. Jetzt also das Spektakel von der Perspektive auf Deck. Ich sehe noch die Al-Jumerai vor uns vorbeiziehen. Frank meint noch, dass der Wind OK wäre, schon viel, aber wir fahren dafür die richtige Segelfläche, allerdings wären die Wellen echt ‚zum Fürchten‘. Dass kann ich bestätigen, auch wenn das Heftigste schon vorbei ist.
Man fährt in der Nacht nach der Windanzeige, wir würden gerne ‚Hart am Wind‘ fahren, also so weit gegen den Wind wie es nur geht, denn wir wollen ja nicht nur nach Norden Richtung Sizilen, sondern nach Nordwesten auf Marsala zu. Übertreibt man es dabei, fährt man zu weit in den Wind, das Vorsegel fängt an zu ‚killen‘ (flattern), und Frank hört das Rigging hämmern statt zu schlafen. Fällt man hingegen ab (Wind von der Seite statt von schräg vorne), segelt es sich ruhig. In die falsche Richtung. Also ein ständiger Kompromiss. Ich versuche den Zeiger der Windanzeige auf 45° zu halten. Hört sich ja nicht so schwer an, oder? Aber da waren ja noch die Wellen. Wellenhöhen sind schwer zu schätzen, nachts um so mehr. Und natürlich ist da die Gefahr, seine Erlebnisse mit noch ein paar Metern mehr etwas dramatischer klingen zu lassen. Am Anfang meiner Wache hätte ich mal vier Meter geschätzt (im Wellental hat man überhaupt keine Küste mehr gesehen), Frank meinte das ein, zwei Wellen von der Seite einfach über das Schiff gebrochen wären, vielleicht 4-6 Meter inklusiver der Schaumkrone, so etwas hätte er noch nicht erlebt. Ich weiß es nicht. Aber am Vortag sprach ein Malteser von Wellen, „two stories high“, und das wären dann auch so die Größenordnung. Die Wellen, jedenfalls, kommen schräg auf das Schiff zu, und sind durch die verschiedenen Windrichtungen der letzten Zeit auch nicht schön aus einer Richtung. Man sieht also aus dem linken Augenwinkel, dass da was großes schwarzes neben dem Schiff ist. Schildkrötengleich versucht man sich in sein Ölzeug zu ducken, aber diese Welle ist harmlos. Sie macht für den SEESTERN den Aufzug, auf dem Kamm kann der Wind so richtig zupacken, gleichzeitig will die SEESTERN nach links, um die Welle runterzusurfen. Gegenruder, da bleibst! Dann flattert das Vorsegel halt, auch weil im Tal das Segel nicht mehr gut gefüllt wird. Wenn man dann im Wellental angekommen ist – was war das für ein Tal? Ein lieblich, sanftes – alles gut. Ein eher tiefer Einschnitt – der Bug des Schiffes kollidiert mit der Welle, Gischt spritzt auf, von den roten und grünen Positionslampen am Bug beleuchtet. Häufig erkennt man am Geräsuch, dass es jetzt gleich richtig über Deck kommt. Also Kopf runter, von der Welle abgewendt, es prasselt von hinten auf die Kapuze. Manchmal merkt man’s nicht, dann prasselt die Welle auf die Brille. Die Wellen zupfen auch direkt am Ruder, wollen es einem entreißen, und meistens steuert man irgendwie nach Gefühl. Nebenbei bekommt man im Dunkeln etwas von der ‚Wellenlandschaft‘ mit. So irritieren mich irgendwelche Wellenberge, die – schwarzen Autos gleich – vor der erleuchteten Küste vorbeifahren. Gerade aus dem Augenwinkel ist der erste Gedanke, dass da ein unbeleuchtetes Fischerboot an einem vorbeigefahren ist. Dann kommt wieder eine Abfolge von Wellen, die passen perfekt zum Schiff. Für ein paar Sekunden fühlt man sich wieder als Chef, schaut auf die Windex. Hört sich übrigens auch einfacher an, als getan. Die Anzeige ist ungefähr zweieinhalb Meter vor der Steuerstand über dem Niedergang montiert, düster beleuchtet, und kurzsichtig mit Brille voller Tropfen…
Immerhin – man sieht die Küste schon ganz gut, irgendwo auf der Höhe von Agrigento, und es scheinen auch keine Schiffe mehr unseren Weg zu kreuzen. Das jedenfalls sagte das Navi eben, doch plötzlich geht es aus. Kein Navi, kein AIS, doof. Allerdings – der Wind scheint etwas weniger zu werden. Ich fahre noch etwas weiter – die Sicht ist gar nicht so schlecht, wenn man nicht im Tal ist, aber dann zupfe ich Frank wach. Wir schaffen es nicht, den Fehler in der Nacht zu beheben. Wir einigen uns, dass ich noch etwas nach Sicht auf die Küste zufahre, und wir dann weiter überlegen. Frank legt sich nochmal kurz hin. Der Wind lässt weiter nach, deshalb durchaus erträglicher, aber so langsam wirken sich Schlaf- und Essensmangel aus. Außerdem ist mir kalt. Ich gebe zu – ich denke voller Sehnsucht an mein warmes, trockenes, kuscheliges Bett zu Hause – was mache ich hier? Geht das jetzt ein Jahr so weiter? Frank wurschtelt unter Deck umher, berichtet dann, dass es noch immer keine gefährlichen Schiffe gibt, der Wind jetzt und hier eher nachlässt, aber es auch an der Küste keine großen geschützen Buchten gibt, wo man sich mal kurz ablegen könnte. Nach einigen Überlegungen kommen wir zu dem Schluss, das Vorsegel wegzurollen, den Motor anzumachen, Mr. Autopilot das Schiff Richtung Marsala fahren zu lassen, und dabei kann ich auch entspannter sein – mal selber runterschauen auf das noch funktionierende Navi, und im Windschutz der Sprayhood die Umgebung zu beobachten. Anyway – da kam der letzte Eintrag, „puh!“ einfach von Herzen.
„Do boats like this sink very often?“ I asked nervously. „Naa. Not too often. Usually just once“ the captain said.
Toller Bericht- da fiebert man richtig mit. Ob Ihr auf diese Weise aber weitere Mitfahrer motivieren könnt, wage ich zu bezweifeln …
Bastelt ihr insgeheim mit der Seestern schon an einem Simulator für die Wiesn?
#DieGeschichteVonBrotkantenUndSalamiraedern