Meine neue Nichte heißt Vaseline. Jedenfalls habe ich mir den Namen so gemerkt, als ihr Vater sie vorgestellt hatte – in meinem Kopf Vaseline, wie eine Figur aus Asterix. Wahrscheinlich ist es wirklich Βασιλική, Vasilikí in arabischer Schrift.Vaseline ist ca. 12 Jahre alt, und lernt mittlerweile im ersten Jahr Deutsch auf der Schule. Sie wünscht mir einen guten Tag, und den wünsche ich ihr artig zurück. Dann entlässt sie ihr Vater wieder, und sie darf weiter auf dem Smartphone spielen.
Natürlich ist Familie etwas hoch gegriffen, aber nett sind sie doch alle. Es fing damit an, dass ich im Μαγειρειον Βερσαλλιες beim Mittagessen saß. Auf der anderen Seite des Gangs ein Sechser-Tisch, aber sieben Gäste. Es wird diskutiert, ob es vertretbar sei, einen Stuhl an das Kopfende zu stellen, oder ob das den Gang versperren würde. Thanos verliert, und setzt sich zwinkernd-schmollend an meinen Tisch. Beleidigt erklärt er mir, dass er von seiner eigenen Familie verstoßen wird. Ich biete ihm zum Trost von dem Wasser am Tisch an, und wir kommen ins Gespräch. Er ist Sportlehrer in Kalamata und Trainer im Fitness-Center. Nach einiger Zeit setzt er sich an einen freien Stuhl an seinem Tisch, und dafür setzt sich sein Bruder Apostolis zu mir, Elektroingenieur für Lotteriemaschinen. Seine Frau war mal in Hannover für eine komplizierte Operation, und sie waren – nicht nur deshalb – schon öfters in Deutschland. Wir diskutieren ein wenig über Sprachen – die Bedienung trägt ein auf dem Bazaar gekauftes Sweatshirt der Freiwilligen Feuerwehr Dankelsheim und freut sich, dass ihr jemand den Aufdruck erklären kann. Im Laufe der nächsten dreiviertel Stunde setzen sich alle Erwachsenen der Familie (zwei Brüder, jeweils mit Frau und Kindern) an meinen Tisch, am Ende kann ich ein Glas Wein nicht ablehnen – jamas!
Die zweite griechische Familie sind eigentlich Engländer bzw. Schotten. Die hatten wir schon letztes Jahr kennengelernt, sie überwintern planmäßig wieder in Kalamata. Als wir gemeinsam ein Bier trinken erinnern sie mich, dass wir in diesem Winter nicht in Kalamata sein wollten. Ich gebe meine rückwirkende Lüge zu, aber sie lachen nur – that’s cruising! Die beiden Paare wussten schon, dass ich bald wieder kommen würde (oder Frank), denn in den letzten Tagen hatten sie plötzlich Aktivität am Boot beobachtet. Ioannis sollte unser Anti-Fouling entfernen, und als er hörte dass ich komme, hat er die im Oktober vereinbarte Arbeit auch flugs gemacht. Dacht‘ ich’s mir – arbeiten lassen in Griechenland geht am besten mit häufiger Anwesenheit und den damit verbundenen sanften Druck.
Deshalb der Kurztrip nach Griechenland, mittlerweile Routine. Flug nach Athen, Mietwagen – ich hab mir einen 1er BMW gegönnt – eingesammelt, und ab auf die Autobahn. Mittlerweile auch Routine: das Umstellen des Bordcomputers von Griechisch auf Englisch (beim Zahnrad klicken, und dann irgendwo “ ελληνικά“ finden, da gibt’s dann Alternativen), und das Koppeln des Telefons bzw. Musikschachterls. Nur das mit der Lautstärke will Anfangs nicht klappen – egal wie oft ich die „+“ Taste des Tempomats betätige, es wird nicht lauter; die Lautstärkeregelung ist offensichtlich auf die andere Seite des Lenkrades gewandert. Nach Kalamata führt eine einwandfreie Autobahn, perfekt gepflegt und ziemlich leer. Vielleicht liegt es an der Maut – die wird in Griechenland an einzelnen Mautstationen eingesammelt, immer zwischen 1,50€ und 2,80€. Am Ende habe ich acht kleine Quittungen im Auto liegen.
Tatsächlich bin ich nur zwei ganze Tage beim Schiff – für ein paar kurze Aktivitäten:
• Ioannis an das Angebot für ein paar mechanische Arbeiten und ein paar Schönheitsreparaturen am Rumpf erinnern.
• Das Angebot des Polstermachers erfragen – er kommt schnell vorbei, und in seinem Notizbuch (neben unserer nicht genutzten Mail-Adresse), stehen auch ein paar Zahlen, die wohl das Angebot sind. Nebenbei hat er Stoffmuster mit (die Seestern soll evtl. innen wohnlicher werden).
• Der Segelmacher wollte offensichtlich nicht selber entscheiden, dass Pacific Blue dem etwas verblichenen Hallberg-Rassy Blau am nächsten kommt, deshalb entscheide ich das.
• Der Schreiner lässt sich auch erklären, was wir (nach Angebot) evtl. machen lassen wollen.
• Nebenbei messe ich noch ein paar Sachen aus, damit wir in Deutschland die richtigen Teile bestellen.
Außerdem montiere ich probeweise unsere Windsteueranlage, notiere mir hier ein paar kleine Aufgaben. Die Windsteueranlage ist ein mechanisches Wunderwerk, welches das Boot automatisch so steuern soll, dass der Wind immer von der gleichen Richtung kommt. Damit erspart man sich das am-Steuer-stehen über zwei Wochen Atlantik, sondern muss nur regelmäßig prüfen, dass der Wind noch aus der gleichen Richtung kommt. Wenn man sie mal montiert hat, ist es auch nicht wirklich ein Wunder, aber Achtung vor demjenigen, der das System zuerst ersann. Interessiert’s Euch? Sonst einfach zum nächsten Absatz springen. Mit einem über Seilzüge bedienbaren Ratschensystem wird eine leichte Holzfahne so gedreht, dass sie im Wind steht. Kommt dieser nach einer Welle von der Seite, kippt die Fahne, und bewegt über eine Stange ein Kegelrad in einem simplen Getriebe. Dieses dreht ein kleines Hilfsruder, welches in das am Schiff vorbeiströmende Wasser ragt, dadurch lenkt sich das Ruder nach links oder rechts aus, und über ein Seilzugsystem dreht die Steueranlage das Lenkrad unseres Hauptruders. Vom Prinzip verstehe ich es, ob es tatsächlich funktioniert, wird die Fahrt nach Sizilien offenbaren. Die Windsteueranlage war beim Schiff dabei, allerdings in neun Teile zerlegt und an drei verschiedenen Orten gelagert. Jedenfalls bin ich froh, das ganze mal an Land hingebaut zu haben, da tut man sich leichter, herunterfallende Schrauben wiederzufinden. Notiz an mich selber: das Ding das nächste Mal im Schiff zusammenbauen, und dann mit einem Seil gesichert vom Dinghi aus am Schiff montieren.
Heute habe ich dann unsere abgelaufene Rettungsinsel ins Auto gepackt, und zum zertifizierten Wartungsbetrieb in Athen gebracht. Die haben das Ding in meiner Anwesenheit geöffnet, mir erklärt warum wir das letzte Mal nur einen Stempel für ein Jahr bekommen haben, und mir das Vertrauen gegeben, dass uns das selbst-aufblasende Planschbecken auch auf dem Atlantik nicht im Stich lassen würde.
Dann bin ich noch etwas durch Piraeus gefahren, hab mir ein Hotel in Porto Rafti gebucht (eine Viertelstunde vom Flughafen, morgen früh geht mein Flieger) und hier sitze ich und schreibe diese Zeilen, während es draußen gewittert – die letzten Tage waren auch eine zu schöne Abwechslung zum kalten München.
Schön, mal wieder was von dir zu hören! Ich hab zu Nikolaus „Das langweiligste Buch der Welt“ geschenkt bekommen, mit lauter Essays über total langweilige Themen (das indonesische Postwesen, oder eine Klassifizierung von Tundra-Moosen oder ähnliches), die beim Einschlafen helfen sollen. Ich finde, die Beschreibung der Windsteueranlage würde da auch prima reinpassen :). Ist allerdings noch nicht ausführlich genug.
Du kannst ja noch etwas über AIS und Schiffsbeleuchtung in den Artikeln davor lesen 😉