Auf die Doppeldeutigkeit des Titels fällt dieses Mal wohl niemand rein? Egal, es ist mein Geburtstag und ich verbringe ihn in Sofia und damit natürlich mit Sofia. Angemessen spät stehe ich auf, gehe frühstücken und lese ein paar Glückwunsch-Posts.
Sofia ist eine interessante Mischung aus alt und neu, monumentale Protzbauten aus der kommunistischen Ära gemischt mit neuen Protzbauten. Viele Steinfassaden, Säulen, regelmäßige bis langweilige Fensteranordnungen. Im Zentrum eine Mischung aus historischen Kirchen und Moscheen und Regierungsgebäuden. Ich schaue in eine der Kirchen, die Sveta Nedelya rein. Gold, Ikonen, aber die Touristen sind komisch – sie sitzen, haben Blumen dabei. Mir fällt auf, dass im Eingangsbereich ein Pfaffe mit einigen Leuten redet – ob hier was interessantes passiert? Ich komme zu dem Ergebnis, dass es sich hier um eine Hochzeit handelt. Mann und Frau tragen jeweils eine Kerze; die beiden Kerzen sind durch ein weißes Band verbunden. Irgendwann bekommen beide eine goldene Krone aufgesetzt und der Pfarrer redet intensiv auf sie ein. (Faire Annahme, oder?) Was aber überhaupt nicht in mein Bild einer Hochzeit passt, ist die Art wie die beiden angezogen sind. Er trägt eine einfache schwarze Hose und ein Hemd darüber, keine Krawatte, kein Sakko, nichts. Ihr Brautkleid wäre auch hinter der Theke in einem Reisebüro angemessen. Auch die Gäste sind nicht festlich angezogen; ich sehe ein Holzfällerhemd und Jeans. Dennoch, die Patriarchen murmeln: „ich schlag dich beim Domino“ und der Chor antwortet mit kirchliche Musik, es wirkt schon … würdig. Irgendwann wird das Brautpaar von dem Patriarchen mehrmals um den Altar geführt; wahrscheinlich sind sie jetzt verheiratet. Nach der Hochzeit beobachte ich noch andere Besucher. Offensichtlich besteht die private Andacht aus der Verehrung einiger Ikonen. Davor stehen, bisserl verneigen, bisserl Murmeln und danach wird die Ikone geküsst. Bäh. Da waren schon andere. Viele. Und ich hab niemanden mit einem Sagtotantüchlein feudeln sehen. Wieder ’ne Religion, die nix für mich ist.
Ich schlendere noch ein wenig durch die Stadt und suche dann den Restaurant-Tipp des Lonely Planet auf. Das Манастирска Магерница/Manastirska Magernitsa ist wirklich ein Besuch wert. Mit Käse, Walnüssen, Honig und Knoblauch gefüllte Paprika als Vorspeise und ein Lammbraten als Hauptgericht, dazu bulgarischer Rotwein; Happy Birthday, Chris.
Eine seltsame Freude bereitet mir das Entziffern von allen möglichen Schildern, die Spielerei mit dem bulgarischem/kyrillischem. Beschäftigungstherapie beim Erkunden einer Stadt. So komme ich an einem Schild vorbei auf dem das Wort steht ‚Тротоар‘. Hirn setzt Zeichen um, ‚Trotoar‘. Hirn spricht es sich laut vor (innerlich). Hört sich an, als würde ein Franzose ‚Trottoir‘ sagen. Hm, nannte nicht die Berliner Oma den Fußweg ‚Trottoir‘? Das passt. Also: auf diesem Schild steht etwas über einen Fußweg. Das passt auch, denn das Schild blockiert einen Fußweg im Bau. Rätsel gelöst, nächstes Schild.
Ich streife weiter durch die Stadt: altkommunistische Monumente, ein Kulturpalast, ein Denkmal für die rote Armee; alles wird fotografiert. Leider regnet es mittlerweile, ich muss mir etwas trockenes suchen, wie wäre es mit einer Kirche? Die Aleksandr Nevski Kathedrale bietet den Gläubigen Andacht und mir ein trockenes Plätzchen. Danach weiter in die Hagia Sofia (ja, auch hier gibt es eine, aber doch erheblich kleiner), wo ich wieder einen besonderen Gottesdienst sehe. Ich frage einen Teilnehmer, worum es ging (zwei Männer und eine Frau vor dem Patriarchen, also wohl keine Hochzeit). Der stottert: „in 40 days, someone dies“. Die Chronik eines angekündigten Todes?!? Vielleicht doch eine verspätete Trauerfeier. Ich frage: „Memorial Service?“ und alle nicken erfreut. Ich bin beruhigt, doch keine Planwirtschaft.
Auf dem Rückweg zum Hotel sehe ich noch zwei Gardesoldaten. Offensichtlich haben Sie den offiziellen Wachwechsel bereits hinter sich, jetzt tragen Sie das Gewehr sehr entspannt. Unter einem Baum zünden sich beide eine Fluppe an und schauen auf ihre Smartphones. Ich bitte um ein Foto, und sie stimmen zu, leider nehmen Sie dazu Haltung an.
Kurz vor dem Hotel fällt mir noch ein Laden auf. Er macht sein Geschäftsmodell sehr deutlich. Auf Leuchtreklame steht ‚Alkohol‘ und ‚Zigaretten‘. Ein alternatives Konzept für heute Abend? Oder doch lieber essen gehen? Ich gehe in mein Hotel und lege mich kurz ab.
kurz vor acht mache ich mich auf die Socken. Vorher will ich zum Bahnhof um mich über Züge nach Ruse und Veliko Târnovo zu informieren. Der Bahnhof wird gerade neu renoviert. Damit alles möglichst sauber aussieht, hat man allen unnötigen Tand entfernt, als aller erstes offensichtlich den Fahrplan. Wie Buchbinder Wanninger klappere ich verschiedene Schalter ab. Schließlich erhalte ich an einem Informationsschalter die Auskunft, dass der erste Zug morgen um 7:55 Uhr fährt. Das ist mir zwar etwas früh, aber ich beschließe dennoch eine Karte zu kaufen, denn mit dem anderen Zug käme ich erst gegen 22:00 an. Wieder das Schalterspiel. Ob sie Englisch spräche, frage ich die Dame hinter der Glaswand. Sie meint Nyet, bemerkenswerterweise ohne ein verlegenes Lächeln. Ich mache ihr dennoch mein Anliegen klar. aber irgend ein Problem bleibt; sie winkt ab. Ich krame meine letzten Reste Russisch aus, denn ich habe einen Verdacht. Im Reiseführer wird häufig über unterschiedliche Prozeduren für den Folgetag hingewiesen. „Tolko zawtra?“ frage ich, was zu 80% auf Russisch ’nur morgen‘ bedeutet, und dem ich so auf Bulgarisch eine kummulierte 50% Richtigkeit zurechne. Erfreut nickt die Dame hinter dem Schalter. Ich kann also erst morgen die Karte kaufen. Selbst wenn es nicht stimmt, hat die Dame das Problem damit vom Hof, denn morgen früh hat eine Kollegin Schicht.
Vielleicht prüfe ich doch die Alternative Bus? Die Station ist gleich nebenan, und über jedem Verkaufsschalter hängt ein klarer Fahrplan. 9:00, 10:00, 10:30, 11:30, also ausschlafen können! Auch wenn die Verkäuferin kein Englisch spricht habe ich nach 30 Sekunden eine Karte. Dabei wäre ich echt gerne Zug gefahren.
Es regnet immer noch und ich habe auch keinen besonders großen Hunger, deshalb beschließe ich den Billa aufzusuchen. Eine Dose Pringles und etwas Wein sind doch auch ein tolles Abendessen. Außerdem komme ich so zum schreiben. Auf dem Rückweg zum Hotel überrascht mich Sofia noch einmal. Normalerweise ignoriere ich die Fußgängerampeln wie alle hier; gucke einfach ob Autos kommen. Aber hier stehen mir zwei Spuren Rechtsabbieger gegenüber, also warte ich brav auf das grüne Männchen. Als es dann endlich kommt, gehe ich über die Straße. Offensichtlich haben die beiden Spuren Rechtsabbieger aber ebenfalls grün bekommen, jedenfalls fahren alle los, als ich mitten auf der Straße bin. So wird man der Überbevölkerung auch Herr.