Sanft fahren mir zarte Finger durchs Haar, steigern sich langsam von zaghaften Berührungen zu immer entschiedeneren Bewegungen. Langsam arbeiten sich die Finger nach unten, halten kurz inne, bewegen sich wieder nach oben, es beginnt von vorne. Ich entspanne mich, genieße die Magie von Bali. Dann kommen wir zum eigentlichen Zweck meines Besuchs, die Balinesin greift sich eine Schere und macht sich an dem Wildwuchs auf meinem Kopf zu schaffen. Gerade bei den tropischen Temperaturen und der Feuchte hier dringend notwendig. Es hat länger gedauert, bis ich die Dame mit der Schere gefunden habe, die sich nun auf einer Dachterasse um mich kümmert. In Ubud, inmitten Balis, hätte ich eigentlich jede Menge Geschäfte vermutet, die sich der Körperpflege und des Wohlfühlen widmen, aber heute, am zweiten Tag des neuen Jahres 1936, haben viele noch zu. Als ich endlich einen offenen ‚Salon‘ finde wird mir jegliche Art der Massage angeboten, mit und ohne … pflegender Öle. Ich gebe meinen Wunsch nach einem Haarschnitt kund, werde freundlich angelächelt, aber leider nein. Mir wird Bali-Etnik empfohlen, auf der Hauptstraße. Obwohl ich sie zweimal auf- und abgehe finde ich den Laden nicht. Da spricht mich eine junge Dame an, die in einer Kunstgalerie sitzt: „Do you want a massage?“ Nein, erwidere ich, und mache die internationale Geste für Haare schneiden. Of course, sir. Mein Fehler, ich dachte Kunstgalerien verkaufen Kunst. Am nächsten Tag merke ich übrigens, dass die Galerie Bali-Etnik heißt.
Angekommen bin ich in Bali vier Tage zuvor, nach der kleinen Verwirrung in Darwin hat alles geklappt. An einem Geldautomaten werde ich wieder Millionär, ein Euro ist hier 16.000 Indonesische Rupiah wert. Ich handle mit einigen Taxifahrern, und bekomme dann einen auch rückblickend vernünftigen Preis für die Fahrt nach Ubud. Endlich wieder in Südost-Asien. Alles lächelt, völliges Chaos auf den Straßen, die ständige Nähe der Verkehrsteilnehmer zum Tod lässt einen sich lebendig fühlen. In Australien wäre das verboten. Eine kleine persönliche Schrecksekunde: während wir zum Taxi gelaufen sind habe ich offensichtlich die e-mail gelöscht, in der die Adresse meiner Unterkunft gespeichert ist, und ich habe hier noch keinen Internet Zugang – Katastrophe! Ohne das Mail (und die darin enthaltene Telefonnummer der Unterkunft werde ich nie ankommen. Freundlicherweise speichert das Telefon gelöschte Mails doch in dem lokalen Papierkorb, wenn es sich nicht mit dem Server verbinden kann. Nach längerem Suchen und einigen Telefonaten zwischen Fahrer und Unterkunft komme ich an der „In da Lodge“ an. Ich bin mir bis heute nicht sicheor, ob das coole englische Jugendsprache sein soll, oder ob es vielleicht Herberge zur indonesischen Glückseligkeit bedeuten soll. Hier treffe ich nach drei Monaten Caroline wieder (die fleißige Leser von den Posts vor Weihnachten bereits kennen), darauf haben wir uns in mehreren Monaten Fratzenbuch-Unterhaltungen gefreut. Wir haben das obere Stockwerk eines indonesischen Pavillons, mit eigener Veranda, extrem großzügig. Ich bekomme das Doppelbett im Vorzimmer der Mädchen: Neben Caroline teile ich das Stockwerk mit Allison aus Edinburgh und Lisa von der Isle of Man. Ich fühle mich wie der Gentleman-Wächter über die Sicherheit der Mädels. Dass ich ein beschissener Wachhund wäre erkenne ich aber daran, dass am nächsten Morgen bereits Frühstück geholt wurde, als ich aufwache.
Der 30.3. nach dem internationalen Kalender ist dieses Jahr der letzte Tag des Hindujahres – 12 Monate à 35 Tage, kannte ich auch noch nicht. Dazu werden Abends Ogoh-Ogoh, Figuren böser Geister, in einer wilden Parade durch die Straßen getragen, am nächsten Tag wird an Nyepi ein Tag völliger Ruhe eingehalten, man darf – auch als Tourist – nicht auf die Straße, elektrisches Licht und Krachmachen ist verboten, selbst der Flughafen ist gesperrt. Medizinische Notdienste sind das Einzige was erlaubt ist. Wir streifen durch die Stadt und beobachten, wie die Dämonenfiguren vorbereitet werden: teilweise sechs Meter hohe, kunstvoll gestaltete Figuren aus Schaumstoff, mit blinkenden LED-Augen, werden auf ein Bambusgitter montiert, welches dann von zwanzig Männern getragen wird. Aber auch Grundschulklassen haben Ogoh-Ogoh vorbereitet, hier tragen vier Kinder mit Hilfe ihrer Eltern einen ca. 60cm hohen Plastikdinosaurier umher. In mitten der Stadt gibt es ein Fußballfeld, hier sammeln sich die Figuren vor der Abschlusszeremonie. Wir finden eine Cocktailbar mit Blick auf eben dieses Feld und genießen die Happy Hour mit balinesischen Mojitos. Neben der balinesischen Kultur kann man von dem Platz aus auch faszinierende Menschen westlicher Herkunft sehen – die entspannte Atmosphäre von Ubud zieht alles mögliche New-Age Gschwärl an. Typisch ist ein Mensch, lila Pluderhosen und Weste über nacktem Oberkörper, ein samtener Zylinder auf langem lockigen Haar. Mit sich und der Natur im Einklang verspeist er eine in Bananenblätter verpackte Speise und trinkt aus einer frischen Kokosnuss, während er mit seinem Schlautelefon spielt und fortwährend überprüft, dass er auch genügend beachtet wird. Wir lachen uns scheckig, und ich stelle fest, dass er seine ökodynamische Getränkeverpackung an Ort und Stelle stehen lässt, wahrscheinlich damit auch sie vor Ort wieder eins werden kann mit der Natur. Langsam wird es dunkel, die Ogoh-Ogoh werden wieder in die Straßen getragen. Begleitet werden die größten von ihnen von einem Orchester, welches hauptsächlich Trommeln, Gongs, Glocken und Xylophone verwendet. Anfangs etwas befremdlich, wird die Musik zwischenzeitlich fast hypnotisch. Es staut sich, mit langen Bambusstangen müssen teilweise die Stromleitungen über der Straße angehoben werden, dass die Figuren darunter passen. Es bleibt keine einheitliche Parade, die Figuren verschwinden in unterschiedliche Teile der Stadt, werden von ihren Trägern geschüttelt, rennen plötzlich los, und liefern sich Gefechte mit anderen verkleideten Figuren. Leider haben wir keinen fachkundigen Führer, so verstehen wir nicht die ganze Symbolik, aber auch als Kulturbanause kann man die Stimmung über sich branden lassen, und es genießen. Eigentlich haben wir gehört, dass die Figuren zum Abschluss verbrannt werden, aber das haben wir nicht gesehen. Manche Einheimische erklären, dass das nur am Strand gemacht wird, und davon ist Ubud meilenweit entfernt.
Über den Ruhetag an Nyepi kann ich wenig berichten, ich stelle nur mal kurz in den Raum, dass ein komplett fauler Tag nur dann genüssliches Rebellieren gegen die Hektik der Welt ist, wenn die Welt um einen herum weiterhin hektisch ist.
Am 1. April können wir noch spontan einen Kochkurs buchen, wir verpassen zwar die Markttour, aber können alle Gericht mitkochen. Die Schule ist ein großzügiges Privathaus etwas außerhalb der Stadt, mit acht anderen lernen Caroline und ich verschiedene der sehr leckeren indonesich/balinesischen Küche, Anlass für ein weiteres Gewinnspiel.
Am Abend, frisch frisiert, ziehen wir in die Stadt. Im Hostel haben wir Sham (so hörte es sich an, aber anders geschrieben) getroffen, wir unterhalten uns kurz. Mir geht der Typ sofort sowas von auf den Keks (er hat Psychologie studiert, weil’s ihm seine Eltern gezahlt haben, aber eigentlich hat er keine Lust mit autistischen Kindern oder Vollidioten zu arbeiten [und das Wort ist sorgfältig übersetzt, O-Ton: das politisch völlig unkorrekte “retards‘]). Ich finde seine Eltern haben ihm den perfekten Namen gegeben (sham=Betrug, Mogelei), auch wenn sie’s offensichtlich falsch geschrieben haben; Caroline meint, man solle Menschen eine zweite Chance geben. Im Laufe des Abends treffen wir zwei Australier und zwei Norwegerinnen, und auch Sham gesellt sich zu uns. Selten habe ich eine solche Schwachsinnsdichte in einer Unterhaltung gehört, ich bin froh als wir endlich – Sham zurücklassend – heimgehen.
War damals vor 18 Jahren auch zu „Sylvester“ in Bali, in Denpasar haben sie ein Paar der Ogoh-Ogohs auf einem Platz verbrannt.
An den Ruhetag kann ich mich gar nicht mehr erinnern…
Sham: Sonst hast Du doch auch eine Methode mit sowas umzugehen: Mehr trinken. Bist doch Wiesn trainiert.
Was war los?
Geil, jetzt erfahre ich schon von „Google now“ wenn Du etwas neues blogst 😉
Google weiß halt was wichtig ist 😉
Oh, in Ubud war ich damals auch, da hat’s mir supergut gefallen. Wir waren in einem hübschen Restaurant auf der Monkey Forest Road, da gab’s (nur auf Vorbestellung) eine ganze Ente, gut gewürzt, in Bananenblätter gewickelt und in einem Erdloch mit Feuer drüber gegart oder so… Keine Ahnung mehr, wie das Restaurant hiess, aber man ging durch eine kleine Garküche oder so in einen riesigen Innenhof mit Koi-Teich und lauter kleinen Hütten und Terassen und Nischen, alle mit Lampions beleuchtet, super-romantisch… Ist aber schon ewig her, war damals mit Christiane…
Hab eben gegoogelt, das Restaurant hiess Café Wayan, und es gibt es noch! Schöne Fotos bei TripAdvisor, auch vom Teich und Innenhof, guck doch mal rein.
War ich eben, wirklich schön, und lecker.