Zwei Städte streiten sich auf dem Spielplatz der Eitelkeiten um den Titel Hauptstadt. Da trifft die Nation eine Entscheidung, nimmt ihnen beiden das Spielzeug weg. Die neue Hauptstadt heißt Canberra. Gut, die Stadt muss erst gegründet werden, aber weder Sydney noch Melbourne hätten sich gegenseitig akzeptiert. Um die Stadt herum wird ein eigener Bundesstaat gegründet, das Australia Capital Territory (ACT). Notwendigkeit, Entscheidung, Gründung, Planung, Bau und Benennung als Hauptstadt fanden zwischen 1901 und 1927 statt, der Siegeszug des Automobils war absehbar bis vollzogen. Die Stadt ist großzügig und monumental, sollte die Geschichte Australiens reflektieren. Ich bediene mich mal beim Reiseführer für folgende Aussagen: ‚die Stadt ist total auf das Auto ausgerichtet, öffentlicher Nahverkehr bringt hier nix‘ (dafür gibt’s genügend Parkplätze), ‚obwohl hier wichtige Kulturdenkmäler stehen, fehlt der Stadt irgendwie Persönlichkeit‘, ‚hier verbrachte Zeit könnte man eigentlich besser woanders verbringen‘. Canberra liegt zwischen den Snowy Mountains und dem Großraum Sydney, meinem nächsten Ziel, also will ich eine Drive-Thru Besichtigung anstreben, vielleicht mit einem kleinen Museumsbesuch. Man erkennt der Stadt ihre Geplantheit an, dieses wertfrei. Es wirkt dadurch etwas steril, aber sehr durchdacht. Große Sichtachsen verbinden große Gebäude, sorgfältig ausgewählt und kommissionierte Denkmäler prägen das Bild. Ich will kurz das Australian War Memorial ansehen, es hat einen Stern im Führer und ist kostenlos – das will ich mir nicht entgehen lassen. Sogar das Parken ist für lau. Das Memorial ist ein beeindruckender Granitbau, soll an die Gefallen erinnern, aber auch ein wenig über ihrer Geschichte erzählen. Obwohl ich noch nicht ganz verstanden habe warum, behaupten sowohl Australier als Neuseeländer, dass ihre nationale Identität im ersten Weltkrieg am Strand von Gallipoli geschmiedet wurde, obwohl die ANZACs hier ordentlich einen auf die Nase bekommen haben. Ich suche in dem Denkmal erst einmal eine Toilette, und lande dabei neben der Flugzeugausstellung. An sowas kann ich als Ingenieur einfach nicht vorbeigehen, und die Ausstellung ist gut gemacht. Unter anderem hat Peter Jackson (Regisseur von Herr der Ringe) und sein digitales Trickstudio eine Videoausstellung zum Luftkrieg im ersten Weltkrieg gemacht. Einer der Piloten von damals war danach Chef der Queensland and Northern Territories Air Service, QUANTAS hat die Ausstellung gesponsort, so passt alles zusammen. Kurz vor fünf, nach zweieinhalb Stunden, kehrt mich das Wachpersonal wegen Betriebsende aus der Ausstellung, lädt mich freundlich ein, noch an der ‚Closing Ceremony‘ teilzunehmen. Trotz Vorbehalte schaue ich mir das an, und werde nachdenklich überrascht. Bei dem Ritual wird stellvertretend einer der tausenden Gefallenen Australiens geehrt. Heute ist 2nd Lieutienant Malcom McMay an der Reihe, der Gallipoli überlebt hat um später in den Gräben von Frankreich zu sterben. Ein Bild von ihm steht auf einer Staffelei, eine Museumsangestellte führt durch den Event. Nach der Nationalhymne (mitsingen erwünscht) legen Familienangehörige Blumengestecke am Brunnen nieder (ich vermute mit Wünschen für Soldaten die gerade im Ausland sind), dann liest ein Oberst der australischen Streitkräfte ohne Sonderausbildung für öffentliche Auftritte die Geschichte von Malcolm vor: als siebtes Kind von diesen Eltern geboren, Vater früh gestorben, beim Ausbruch des Krieges freiwillig gemeldet, Ägypten, Gallipoli, Ägypten, Frankreich. Keine besondere Tapferkeit, keine besonderen Medaillen, aber trotzdem tot. Ein kurzes Requiem auf dem Dudelsack wird gespielt, der Oberst (eine Sie) salutiert, ein kurzer Zapfenstreich wird gespielt, Thank you very much, folks, have a safe trip and a great weekend. Ich fand es sehr … würdevoll. Ich finde, man kann über die Sinnhaftigkeit militärischer Mittel zum Erreichen politischer Ziele kontrovers und trefflich diskutieren; das ist notwendig, und ich mache auch gerne mit. Seine Meinung darüber allerdings als moralische Keule über dem armen Schwein auszulassen, das sich als Befehlsempfänger für ein Land in Lebensgefahr begibt, das fand ich nie fair. Am Australian War Memorial fand ich das gelungen, von so einem Umgang könnte sich Deutschland eine Scheibe abschneiden. Nachdenklich setze ich meine Reise fort.