„Di chuyen mong cua ban!“ Mit barschem Befehlston schickt Bahnwärter Nguyen Blödmann und Blödmannsgehilfe (so nenne ich sie innerlich) auf ihre eigentlichen Plätze, denn jetzt kommen Passagiere, die die teureren Liegeplätze unten reserviert und bezahlt haben. Kissen und Decke scheinen sowieso nicht akribisch gewechselt zu werden, da macht es ja nix, dass die beiden mittlerweile in vier der Bettchen im Abteil geschlafen haben. Es ist 22:30, noch fünfeinhalb Stunden bis Hanoi, sollten wir pünktlich sein.
Angefangen hat die Reise in Hoi An [Artikel dazu kommt auch, versprochen]. Kurz Frühstück mit Lewis aus Adelaide, den ich mit dessen Cousine am Vorabend kennengelernt habe. Ich verabschiede mich von dem herzlichsten Hotel, das mir je untergekommen ist, um 8:45 soll das Taxi kommen. Kurz davor fällt mir ein, dass das Hotel ja noch meine Zugfahrkarte hat, das wäre peinlich gewesen. Die Fahrt nach Danang (Die nächste größere Stadt zu Hoi An) dauert 45 Minuten, verbracht in angeregter Unterhaltung mit zwei Münchnerinnen. Dann sind wir am Flughafen, der Fahrer will meine Tasche ausladen, und ist perplex als ich heftig widerspreche. „Train Station!“ sage ich, der Fahrer nickt wissend und fährt los. Offensichtlich hat er nur so genickt, denn er telefoniert, reicht mir das Handy; ich bestätige der Fremdsprachenkorrespondentin am anderen Ende dass ich wirklich zum Bahnhof will. Nach ca. 10 Minuten stehen wir vor einem Gebäude, auf dessen Vorplatz eine Dampflokomotive steht. Ich folgere messerscharf, dass dieses der Bahnhof ist. Mein Zug geht in zwei Stunden.
Mein Plan, mich auf dem Bahnhofsvorplatz noch kurz zu entspannen, wird von einem Regenschauer zunichte gemacht, und so trolle ich mich in den Wartesaal. Vor meinem kommen noch drei andere Züge in dem Kopfbahnhof an und fahren wieder. Jedesmal großes Gewusel auf den Bahnsteigen (die sonst nicht zugänglich sind), der Zug hält hier 15 Minuten, genug Zeit für Passagiere, sich noch schnell was im Bahnhof zu kaufen. Dann kommt mein Zug, ich finde Wagen 7, treffe zum ersten Mal den Fahrkarten kontrollierenden Bahnwärter Nguyen, und finde Berth 4 in ‚Room 1‘. Abgeschlossenes Liegewagenabteil mit sechs Betten, und noch ist Platz unter dem untersten für meine Tasche. Ich habe die mittlere Liege, momentan hochgeklappt, man könnte sich auf das untere gemachte Bett setzen. Wie genau ist hier die Etiquette? Ich schau mal nach nebenan, da höre ich auch deutsche Stimmen, es sind aber auch Anfänger. Sie fahren nur zweieinhalb Stunden nach Hue, haben keinen Sitzplatz mehr bekommen. Als ich in mein Abteil zurückkomme, sind die beide unteren Liegen belegt, im präzisen Sinne des Verbes. Obwohl man sich vielleicht dennoch ans Fußende setzen könnte, stelle ich mich in den Gang, das wird sowieso die Seite mit Meeresblick.
Grob gesagt hat Vietnam eine Bahnstrecke, die von Ho Chi Minh City nach Hanoi führt (von Hanoi aus gibt es ein paar weitere Stichstrecken). Bei Hue haben wir sie öfters gesehen, sie scheint überall einspurig zu sein. Nach ca. 10 Minuten Fahrt hält unser Zug – noch in Danang – und wartet auf den Gegenzug. Das kann ja heiter werden. Dann zuckeln wir weiter, erreichen nach 20 Minuten den Wolkenpass und beginnen ihn zu erklimmen. Auch wenn die Bahnstrecke nicht so hoch führt wie die Straße, und auch teilweise durch kurze Tunnel führt, ist der Ausblick spektakulär. Gigantisch wäre es, wenn jetzt noch die Sonne scheinen würde, aber wenigstens ist es noch hell. Durch das schmutzige Fenster mache ich einige Fotos, keine davon werden wirklich gut. Entlang der Strecke gibt es einige Streckenposten und Bahndienstgebäude. Hier stehen wirkliche Bahnwärter, und halten militärisch eine aufgewickelte gelbe Fahne am abgewickelten Arm vor sich. Nachts werden sie witzige Laternen halten, die in jede Richtung eine andere Farbe strahlt, dem Zug entgegen gelb. Der Zug windet sich den Pass hinauf, an einer Stelle ist es kurz doppelgleisig, und wir warten wieder auf den entgegenkommenden Zug. Danach haben wir die Passhöhe erreicht, und fahren wieder hinab in die Ebene um Hue. Vom Zug aus sehe ich die Straße, von der aus ich vor einigen Tagen den Zug sah.
Bis Hue unterhalte ich mich mit dem deutschen Paar, danach sind Unterhaltungsopfer rar. Ich gucke in mein Abteil. Mittlerweile sind dort vier Betten belegt, alle pennen; obendrein ist das Fenster aus dem Abteil heraus eine kaputte Verbundglasscheibe (also zwei zusammengeklebte Scheiben, eine davon in tausend Teile zersprungen). Also bleibe ich weiter im Gang stehen, und sehe Vietnam beim Vorbeifahren zu. Im Gang bin ich allen im Weg, ständig hastet Bahnwärter Nguyen und seine Kollegen vorbei, andere Reisenden auf dem Weg zum Imbisswagen oder Klo. Aber man lernt so auch leichter Leute kennen. Es gesellt sich ein junger Vietnamese mit halbwegs passablen Englisch zu mir. Er ist auf dem Heimweg von HCM City in die Quang Tri Provinz, und hat eben seinen Job als Spritzgußformdesigner für Plastikspielzeug gekündigt, um sich selbstständig zu machen. Genau als was, dass weiß er auch noch nicht (oder kann es mir nicht vermitteln), aber er findet die Vorstellung dass Angestellte für ihn arbeiten toll. Ich teile mit ihm mein Mittag- und Abendessen, eine Rolle Pringles. Es hätte auch vorbeifahrendes Essen gegeben, aber das hat mich nicht so angesprochen.
Die Landschaft ist mittlerweile eintöniges Reisanbaugebiet. Reisfelder sehen für mich wie große Schlammpfützen aus, die voneinander durch kleine, bierkastenbreite Erdwälle getrennt sind. Die Felder haben unregelmäßige Formen, teilweise mit geschwungenen Grenzen, und haben meist ungefähr die Fläche eines Tennisplatzes. Ich überlege, ob eine Zusammenlegung der Felder nicht einen erheblichen Effizienzgewinn bringen würde. Dann überlege ich, ob meine Kollektivierungsgedanken zur Effizienzsteigerung nicht eigentlich kommunistisches Gedankengut sind. Manchmal werden die Reisfelder durch größere Erhebungen wie Hügel oder auch nur Straßen auf Dämmen unterbrochen, diese bestehen dann auf tiefroter, eisenhaltiger Erde. Warum sind die Reisfelder dazwischen nur schlammbraun? Hat jahrhundertelanger Reisanbau der Erde die Farbe genommen? Ich werde in meinen Überlegungen durch einen ziemlich angetrunkenen Vietnamesen unterbrochen. Er hat offensichtlich beschlossen, dass jetzt die perfekte Gelegenheit ist, seine Englischkenntnisse Gassi zu führen. Der Alkohol lässt ihn laut und locker sprechen, verstehen tue ich aber nix. Seine Kumpels versuchen ihn öfters weiterzuziehen, aber nein, er will weiter üben. Die Einfahrt in den Bahnhof von Dong Hoi erlöst mich, hier muss er aussteigen.
Als wir weiterfahren, ist es dunkel, es gibt nichts mehr zu sehen, außerdem stehe ich seit fast sechs Stunden auf dem Gang. Normalerweise ist sechs Uhr abends für mich keine Bettgehzeit, aber was soll ich tun? Im Abteil sind nur noch Blödmann und Blödmannsgehilfe. Sie sitzen auf den unteren Betten und beschäftigen sich intensiv mit Ihren Schlautelefonen. Ich mache meine Liege runter, gebe mir einen Ruck zur Überwindung der Abneigung gegenüber Kissen und Decke, und lege mich meinerseits mit musizierenden Schlautelefon hin. Die beiden Vietnamesen spielen sich gegenseitig Musik vor, und gucken gemeinsam Videos. Laut genug eingestellt, übertönen die Ohrstöpsel aber das asiatische Gejaule, nur wenn meine Musik etwas leiser wird, dringen die klagenden Katzen disharmonisch an mein Ohr. Gegen neun denke ich mir, dass ich jetzt die Chance hätte, wegzudösen wenn ich meine Musik leiser mache. Nach einigen Experimenten merke ich aber, dass dazu die Geräuschkulisse im Abteil sinken muss. Ich komme mir mega-spießig vor, als ich Blödmann bitte/anherrsche, ob er nicht vielleicht auch Kopfhörer für seine Musik hätte. Immerhin schaltet er sein Handy brav aus, ich bedanke mich artig. Stunden später sehe ich dass er dann wohl doch irgendwoher Kopfhörer gefunden hat.
Um den Akku meines Apfeltelefons zu sparen schalte ich nur alle Stunde das Netz an, um zu sehen ob sich jemand mit mir auf Facebook, per Blog-Kommentar oder per e-mail unterhalten hat. Bei der Gelegenheit verfolge ich unseren Fortschritt die Küste hinauf mit einer Landkarten App, es geht recht zäh voran – zumindest auf der Vietnamkarte. Gefühlt ist der Zug recht zügig unterwegs, gemessen mit 75 km/h, und auch die Schienen sind erheblich besser als die meines Erlebnisses in Myanmar – exzessives Ruckeln und Hüpfen bleibt aus. Um 22:30 steigen dann noch zwei Damen und ein Herr zu, die eingangs erwähnte Episode findet statt.
Heute treffen sich in München meine Mitsegler für Thailand zu einer letzten Besprechung. Ich wurde eingeladen, per Skype mich Telco-mäßig einzuwählen. Mit Skype hatte ich anfangs meiner Reise einige enttäuschende Erlebnisse, es hat nie so richtig geklappt. So war meine Zusage auch eher ironisch zu verstehen. Allerdings hatte es am Tag zuvor mit perfekter Sprachqualität geklappt – vielleicht sollte ich es doch versuchen? Kurz vor Mitternacht muss Blödmannsgehilfe mal raus, diskutiert aber erst noch lautstark mit Blödmann darüber. München trifft sich um 18:00, da bringt es nicht wenn ich jetzt ein paar Minuten vorher anrufe. Ich beschließe es in einer Stunde zu versuchen, falls ich da noch wach bin. Offensichtlich habe ich fast zwei Stunden geschlafen, aber jetzt würde es auch noch gehen – Blödmann musste mal raus, und diesmal folge ich ihm. Erstaunlicherweise funktioniert Skype via mobilem Internet im ratternden Zug erstaunlich gut, man muss immer nur zu den Wagonenden pilgern, um die Türen zu den Übergängen zuzumachen.
Danach döse ich noch etwas, und werde um kurz nach vier (20 Minuten Verspätung) von einem vietnamesischem Revolutionslied geweckt. Vielleicht ist es ja auch nur ein Lied über die Stadt, ‚Hanoi‘ kommt recht oft vor. Danach noch etwas vietnamesisches Geplapper, und dann – englisches Geplapper. Geschichte und Sehenswürdigkeiten von Hanoi werden gepriesen. Es ist *%&#& vier Uhr morgens, glaubt Ihr wirklich, dass mich das interessiert? Ich packe mein Zeugs, darf Bahnwärter Nguyen fotografieren (er will das Foto sehen, ist aber offensichtlich über das Resultat erfreut), und werde vom Zug auf dem Bahnsteig in Hanoi gespuckt.
Anm der Red: Warum „Bahnwärter Nguyen“, wo der Mensch doch offensichtlich Schaffner ist? In der Schule musste ich „Bahnwärter Thiel“ von Gerhard Hauptmann lesen, bei Frau Brecht. Schon damals gab es in Deutschland keine Bahnwärter mehr, und so löste das heute gesehene die Erinnerung an die „novellistische Studie“ aus. Und dann wurde ich heute noch von einer anderen Frau Brecht zum bloggen aufgefordert – da stand der Titel fest, mitsamt der resultierenden Fehlbezeichnung im Text.
Na, dann hoffen wir mal, dass Herr Nguyen nicht so tragisch endet wie sein Kollege Thiel. Ich bin übrigens 1996 mit dem gleichen Zug gefahren (Hardsleeper), nur in der anderen Richtung. Abgesehen von den Schlautelefonen scheint sich nicht viel geändert zu haben. Macht Spass, Deinen Blog zu lesen 🙂 . Viele Grüße von den beiden Frau Brechts und viel Spaß in Hanoi!!!
Der war wieder schön, Dsnke. bin stark hinterher, weil stark mit Sommerplanung und dem fehlenden Winter etc. beschäftigt , aber heut Abend gönn ich mir die drei fehlenden Einträge!