Von Rochen und Drachen

Gary ist Gefahrensucher. Jedenfalls führt er sich so auf – er möchte unbedingt ein Foto von dem Komodowaran und sich, und turnt dabei dem Viech vor der Nase rum. Unterstützt wird er dabei von seinen Reisebegleitern (vielleicht geht er ihnen so auf den Keks wie uns?) und einem Ranger. Diese Rieseneidechse ist ungefähr drei Meter lang, und wir haben sie zuerst gesehen. Uns hat sie angegähnt, aber auf den Fotos sieht das offene Maul mit dem tiefen Schlund bösartig und aggressiv aus. Dann fing der Waran langsam an sich zu bewegen, und andere Touristengruppen, jede mit ihrem eigenen bewaffneten (zwei Meter langer Stock) Ranger, kamen hinzu. Der Komodo-Drache (so heißt das Viech auf Englisch) nimmt den Wanderweg, zwingt die Touristen in den Busch, wobei sie natürlich versuchen vor ihm zu bleiben, damit die Fotos besser aussehen. Mit gespaltener Zunge wittert der Drache seine Umgebung – ob verschwitze Touristen wie gute Beute riechen? Die Tiere sind wirklich gefährlich, zwar haben sie keine besonders scharfen Zähne, und sind auch nicht an sich giftig, aber offensichtlich haben sie durch mangelnde Mundhygiene ein solches Cocktail an giftigen Bakterien im Maul, dass einmal gebissene Opfer zügig an Blutvergiftung sterben. Zwischen vierzig Minuten und drei Wochen wird alles kolportiert, der Ranger meint, dass wir Erwachsene ungefähr 24 Stunden haben, um ins Krankenhaus zu kommen. Das nächste sei allerdings 25 Stunden entfernt, Hahaha, Spässle gemacht. Als Ergebnis einer wissenschaftlichen Erhebung ist dieser Waran auf der rechten Flanke mit der Buchstabenkombination AOV in gelb gekennzeichnet, wir können ihn aber meistens von der linken Seite fotografieren. Es ist der aufregendste von den insgesamt sieben Waranen, die wir auf den Inseln Rinca und Komodo sehen. Fünf Warane trieben sich in der Nähe der Küche am Besucherzentrum herum, die Fotos wirken weniger wild, wenn das Tier auf gemähtem Rasen oder vor einer ausrangierten Kloschüssel liegt. Der sechste war so vollgefressen, dass er uns nicht einmal eines Blickes gewürdigt hat, aber dieses ist der echter Poser des Komodo Nationalparks, der Anlass meiner Reise zur Insel Flores.
Die Reise fing am Tag zuvor an, mit einer Taxifahrt von Ubud nach Denpasar. Ich verabschiede mich von Caroline – gespannt ob und wann wir uns mal wieder sehen, und checke bei Wings Air ein. Wings Air ist aufgrund von Sicherheitsbedenken auf der schwarzen Liste der Europäischen Union, das ist immer beruhigend. Es fängt auch etwas komisch an. Beim Check-In teilt mir die Dame mit, dass ich Übergepäck habe. Verdutzt gucke ich auf die Waage, 16kg. Tja, Freigepäck ist hier nur zehn Kilo. Ich versuche gequält zu lächeln – und was bedeutet das? 76.000 Indonesische Rupiah, knapp fünf Euro. Na gut, ist mir auch wurscht, auch die Flughafensteuer von 20.000 zahle ich klaglos. Im Wartebereich sitzt mir ein Ehepaar gegenüber, er musste vor mir Übergepäck zahlen, und ist offensichtlich recht sauer. Wir unterhalten uns, sie kommen aus München, und er hat die Währung noch nicht durchschaut. Als er kapiert, dass er eben nicht zweihundert Dollar, sondern nur zwanzig, für das Tauchgepäck gezahlt hat, regt er sich sichtlich ab. Mit einem uralten Mercedes Bus fahren wir über’s Rollfeld – das kann ja heiter werden, doch dann kommen wir an dem Flieger an: ein recht neuer ATR 72, Turbopropmaschinen wie ich sie hier überall in Asien gesehen habe. Der Flieger ist so neu, dass er kein „No Smoking“ Symbol mehr hat, was ja schon seit ein paar Jahren eher sinnlos ist, sondern neben dem Gurt-Anlegen-Symbol ein No-Laptop-or-Iphone-Symbol. Was mich auch beruhigt: In meiner Sitztasche finde ich eine “Invocation Card“, hier sind für sechs Religionen in mehreren Sprachen Fürbitten aufgeführt:
We seek the help of Allah, the most Gracious, the Most Merciful, who has bestowed upon us the will and ability to use this aircraft, without Whom we are helpless […] shower us with your blessings and protect us on this journey from any hardship or danger.
Da bekommt der alte englische Spruch ‚flying on a wing and a prayer‘ wieder neuen Sinn. Egal ob’s jetzt Gott (ev), Gott (rk), Allah, Om Sanghyang Widhi Wasa the Greatest, the Blessed One, oder Tian und sein Prophet Zi waren – oder doch Ingenieure und Wartungspersonal – wir landen sicher in Labuan Bajo. Das Flughafenterminal ist sehr modern – geschwungene Strukturen, mit Alu verkleidet – und noch nicht eröffnet. So werden wir in einer alten Hütte abgefertigt, der Hotelabholdienst trägt in strömenden Regen meine Tasche über den schlammigen Parkplatz, und auf einer Rumpelpiste machen wir uns auf Richtung Stadt. Ich beziehe ein nettes Zimmer mit Blick über den Hafen, und mache mich dann auf den Weg durch die Stadt, um den Ausflug in den Nationalpark zu buchen. Ich fange bei Perama an, einen der besten Veranstalter in Indonesien. Er verlangt auch für zwei Tage und eine Nacht dreieinhalb Millionen Rupiah (230€) – wenn ich noch eine andere Person finde. Da kommen auf einmal vier Personen, die alle aussehen, als ob ihr Budget unter meinem wäre. Ich fange sie ab, als sie kopfschüttelnd den Laden verlassen. Wir sind uns schnell einig, dass wir morgen das gleiche machen wollen, und lassen eines der Mädels im nächsten Laden verhandeln. Fünf Minuten später haben wir den Ausflug am nächsten Morgen für 50€ pro Person, und stellen uns erstmal vor: Róisín und Andy, Lara und Adam alle aus England bzw. Schottland. Róisín und Andy sind schon länger ein Paar, sie reist längere Zeit, und er besucht sie hier für drei Wochen, Lara und Adam scheinen eher Friends with Benefits zu sein, und sie besucht ihn auf seiner längeren Reise. Vorher waren die beiden am Mount Kelimutu, das hört sich interessant an. Untereinander kennen sie sich seit zwanzig Minuten. Treffpunkt am nächsten Morgen um acht, und wir müssen alle noch etwas organisieren. Ich reserviere mein Hotel für die übernächsten Tage, klappere vier Geldautomaten ab, um am Ende 160€ zu bekommen. Das könnte genug Geld für die nächsten Flüge sein, ich scheitere aber bei der Buchung daran, dass das Internet beim Agenten nicht funktioniert. Ich treffe mich mit Lara und Adam noch auf ein Bier und etwas zu essen, wir erzählen ein wenig. Lara ist Compliance-Beauftragte, the fun police, wie sie sich selber nennt; trotzdem sympathisch.
Am nächsten Morgen klappt die Buchung für den Flug nach Ende, für den weiteren habe ich doch nicht genug Geld. Wir werden zum Boot geführt: Ein vielleicht zwanzig Meter langes indonesisches Holzboot ohne Rückwärtsgang. Es hat zwei Kabinen für Gäste, wir erkennen, dass in einer Doppelstock-Doppelbetten sind, das wäre ordentlich eng. Ro und Andy melden sich als erstes, dass sie auf dem Dach schlafen. Die meiste Zeit verbringen wir sowieso auf dem Dach des Schiffes, wobei ein Teil davon von einer Plane Schatten hat. Die Engländer arbeiten verbissen an ihrer Bräune, erst am zweiten Tag kommen Lara und Adam ein wenig in den Schatten, der mir sofort am liebsten ist. Wir tuckern in knapp drei Stunden auf die Insel Rinca, Dracheninsel die Erste. Hier ein 90 minütiger Trek auf der Insel, zwei Drachen direkt an der Küche. Der Ranger bedauert, aber es wären halt Wildtiere, da gäbe es keine Garantie. Aber morgen früh auf Komodo, da wären unsere Chancen viel besser. Dann geht’s weiter, es gibt Mittagessen, ziemlich lecker, auch wenn der Koch eher vier verschiedene Rezepte immer wieder variiert. Dann fahren wir weiter zum Pink Beach, hier wird geschnorchelt, aber nach meinen Tauchausflügen der letzten Wochen vermag mich das nicht überzeugen, und weiter in eine Bucht der Insel Komodo, wo wir übernachten. Am Ufer lauter ‚Flying Foxes‘ riesige Fledermäuse, wie ich sie auch schon in Cairns gesehen hatte. Leider geht nachts der Wind komplett aus, in meiner Kabine schwitze ich die Nacht vor mich hin. Toll geschlafen hat keiner, und Adam erzählt wie er nachts in einer Wachphase beobachtet hat wie viel Müll hier trotz Nationalpark rumschwimmt. Bei genauerer Betrachtung erkennt er die Verpackung der Chips wieder, die er am Vortag ordentlich im Abfalleimer entsorgt hat. Wir überlegen, mit der Crew hierrüber ein Fass aufzumachen, aber verwerfen den Gedanken dann wieder. Die drei sprechen alle kaum Englisch, insgesamt ist die Kommunikation sehr minimal (So auch immer nach dem Anhalten – irgendwann fragen wir dann, ob wir jetzt vielleicht schnorcheln gehen sollten).
Um sieben sind wir dann an der Pier von Komodo Island – diese scheint eher für große Kreuzfahrtschiffe gedacht zu sein, der Tourismusrubel muss rollen. Hier begegnen wir dem wilden, aktiven Komodowaran und seinem Gegenspieler, Gary. Danach fahren wir weiter Richtung Heimat, aber mit Stopps an zwei Schnorchel-Beauty-Spots. Der erste heißt vielversprechend Manta Point, hier sieht man oft die riesigen Mantarochen, mit bis zu 3m Spannweite. Die Strategie ist hier offensichtlich, erst einmal einen der Rochen zu finden, und dann zu schnorcheln. Wir sehen ein paar Schatten im Meer, es braucht noch viel Fantasie, aber dann sind auf Steuerbord klar zwei Mantas direkt unter der Wasseroberfläche zu sehen. Andy und ich hupfen ins Wasser, ich schaffe ein paar Fotos von hinten, und dann halten wir uns an der seitlichen Badeleiter ein, während das Schiff nach weiteren Tieren sucht. Das habe ich als Skipper auch nicht so gelernt, wenn man jetzt loslässt könnte man in die Schraube kommen (OK, man müsste sich dabei auch noch extra doof anstellen, aber trotzdem…). Zuletzt noch etwas tauchen an einem entspannten Riff vor einer Insel mit Resort – hier werden Lara und Adam am nächsten Tag drei Tage Langweile antreten – und fahren dann wieder nach Labuanbajo. Dort plündere ich wieder ein paar Geldautomaten, buchen meinen Flug von Ende wieder weg, und finde einen Tauchausflug für den nächsten Tag. Dann wieder Essen mit den Leuten vom Boot – hier ist das attraktivste Restaurant ein Italiener, der recht vernünftige Pizzen im Steinofen macht.
Der Tauchtrip am nächsten Morgen um 7:20 wird auch gut: nach einem langweiligen Einführungstauchgang an einem mittelmäßigen Riff (immerhin ein Höhepunkt: ein großer Calamari, der seine Farbe ändert, wenn man ihn etwas bedrängt – nicht nur auf dem Teller gut) steigern wir uns zu einem sehr spannenden Tauchgang am Manta Point. Die Strategie für Taucher ist hier: man lässt sich von der zügigen Strömung über den eher langweiligen Boden spülen, irgendwann klopft der Tauchführer an seinen Tank, man lässt sich auf den Boden sinken und hält sich an einem Stein fest (leichter gesagt als getan, es gibt kaum große, unbewachsene Steine) und beobachtet die Mantas wie sie gegen die Strömung an einem Fleck schwimmen. Ich habe einmal großes Glück, etwas getrennt von den anderen umkreist mich das Riesenviech, ich schaffe Fotos von vorne, von hinten, von der Seite, als Close-Up – Alleine dafür hat sich das Tauchen gelohnt. Leider muss ich feststellen, dass mir die Unterwasserkamera das Überschreiten ihrer Garantietauchtiefe vielleicht doch übelgenommen hat. Zurzeit reagiert sie jedenfalls nur auf sehr wenige Knöpfe. Nun ja, wie gewonnen, so zerronnen, und immerhin haben ein paar der gelungenen Fotos mich überzeugt, dass eine vernünftige Kamera unter Wasser vielleicht doch eine sinnvolle Investition ist; sollte ich jemals wieder in ein Gebiet mit größerem Tauchpotenzial kommen, schaffe ich mir vorher eine an. Der letzte Tauchgang wird dann aber der Korallenhöhepunkt. Ein Drift-Dive (technischer Ausdruck dafür, dass die Taucher zu faul zum Flossenschwingen sind, sich einfach treiben lassen, und das Schiff sie woanders aufsammeln muss) entlang eines wunderschönen Korallenriffs, abertausende bunte Fische, ein Hai, eine Schildkröte, einfach eine zusammenfassende Werbung für den Tauchsport an sich. Die starke Strömung hier ist ein Resultat der Flut, die hier vom Indischen in den Stillen Ozean fließt, dadurch ergeben sich auch witzige Temperaturschichtungen – ständig sieht man Schlieren im Wasser wo sich warmes und kaltes Wasser vermischen, wenn man die verschiedenen Strömungen durchschwimmt kommt man sich vor wie in der Dusche eines Hotels mit schwacher Wasserversorgung. Ständig macht der Nachbar sein Wasser an und aus, und man bekommt abwechselnd kaltes und tropisch warmes Wasser ab. Als Gruppe haben wir Taucher uns auch gut verstanden, so folgen wir Sam’s Empfehlung, am Abend ins Tree Top Café zu gehen. Von dort ist der Ausblick auf den Sonnenuntergang genial, leider sind heute zu viele Leute da, und die Küche braucht bis zu 90 Minuten, um unser Essen zu servieren. Eine schöne Zeit hier in/vor Labuanbajo, mit vielen neuen Bekanntschaften.

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