Um Sydney

Trotz der traurigen Nachricht setze ich meine Reise fort. Ich umkreise Sydney mit seinen vielen Mautstraßen und besuche westlich der Stadt die Blue Mountains. Blue passt zu meiner Stimmung, aber kommt eigentlich von dem bläulichen Dunst, der meist über den Bergen hängt, angeblich ein Effekt von ätherischen Ölen, die die dort wachsenden Eukalyptusbäume abgeben. Nun ja. Der erste Stopp beeindruckt mich noch nicht besonders, ein Ausblick von ein paar Klippen über einen Fluss. Nach zwanzig Kilometern ungeteerter Straße sieht es schon besser aus – der Fluss wirkt in die Schlucht gedrängt, die Klippen höher, mit fiesen Überhängen. Ich folge der Rundfahrt weiter nach Westen, und merke erst einmal nichts mehr von Bergen. Warum das so ist, merke ich an dem nächsten Aussichtspunkt. Die Wendworths Falls stürzen von dem Hochplateau, auf dem ich die ganze Zeit fahre, in das Tal daneben. Auch wenn die absoluten Höhen nicht vergleichbar sind, erinnert mich das stark an den Grand Canyon, wenn auch durchgängig bewaldet. Ich streife noch ein paar andere Aussichtspunkte und finde dann in Katoomba eine Übernachtungsmöglichkeit, ein indisches Restaurant im Ort sorgt für einen vollen Magen.
Am nächsten Morgen nieselt es, und eine dichte Nebeldecke bedeckt alles. So sehe ich von den „Three Sisters“, dem wichtigsten Fotomotiv der Blue Mountains: nichts. Wie es sich aber für eine zünftige Attraktion gehört, wird hier schon beim Parken ordentlich zugelangt, Mindestbezahldauer eine Stunde. Als ich nach einer Viertelstunde wieder fahre, kann ich mit dem Ticket noch ein paar anderen Touristen eine Freude machen. Ich habe es etwas eilig, ich muss am Nachmittag rein zufällig im Hunter Valley sein. Ein weiteres Tal in dem Hochplateau ist nicht ganz so verhangen, hier erkennt man die grandiose Landschaft zumindest, auch wenn’s nix zum Fotografieren ist. Ich mache mir mal wieder Gedanken zu meinem Tourismuskonsumverhalten. Ich ertappe mich viel zu oft dabei, Sehenswürdigkeiten anzusteuern, Infotafeln zu lesen, sie zu fotografieren, vielen Dank, das war’s. Bei schlechtem Wetter oder Licht bin ich enttäuscht, weil die Fotos nicht so toll werden. Ist das der richtige Genuss? Ich hab doch genug Phantasie, um mir auszumalen, wie’s bei anderem Wetter aussehen würde. Ich kann mit sogar vorstellen, wie’s bei Nacht aussehen würde – schwarz. Meine Überlegungen kommen leider zu keinem Ergebnis. Ich habe auch versucht, das ganze länger auf mich wirken zu lassen, hilft auch nicht viel. Also fahre ich weiter.
Mein nächstes Ziel ist der Hunter Valley, nördlich von Sydney. Ein bekanntes Weingebiet, außerdem mitten in einem der wichtigsten Kohleabbaugebieten von Australien, wie mir am Abend Mark erklären wird. So stehen sich hier zwei Welten gegenüber: der mondäne Genuss von Wein und anderen kulinarischen Spezialitäten (mitsamt einiger affektierter Genießer aus der großen Stadt), und das working class Bergarbeiter Miljö. Eine Brücke zwischen den beiden Welten schlägt Bruce, der zufälligerweise heute im Hunter Valley spielt.
Gut, das mit dem Zufall nimmt mir keiner mehr ab. Ich habe in Melbourne Charlie und den anderen erzählt, dass ich auf kein weiteres Konzert mehr gehe, und da habe ich es auch selber noch geglaubt. Aber als die Besichtigung von Melbourne sich nicht so lange hinzog, und es auch sonst recht zügig voran ging, begann ich langsam zu überlegen. Eigentlich ist ja Doris schuld. Sie meinte, dass es dort eine total tolle Atmosphäre haben müsste, und außerdem…. Ich hadere ein wenig mit der Detailplanung: wo übernachten, wann versuchen eine Karte zu ergattern. Ich finde in der nächsten Ortschaft ein Motel, welches noch ein freies Zimmer hat. Hunderfünfzig Dollar statt der angeschlagenen neunzig – „Oh no Sir, it’s a concert night“, und fahre dann zum Hope-Weingut. Es gibt an der Abendkasse noch eine Front of Stage Karte, der Bereich ist lt. Plan nur 620 Quadratmeter groß – so persönlich war’s selten. Durch die bühnennahe Karte ist die Atmosphäre für mich allerdings ähnlich wie bei den anderen Konzerten. Anders wird’s weiter hinten, wo auf dem Grashügel lauter Leute mit Picknickdecken und Klappstühlen unterwegs sind. Wein wird flaschenweise verkauft, auch komplette Gourmet-Picknickkörbe wären erhältlich. Neben mir stehen Fans aus England. Sie haben die Tournee als Anlass für den Urlaub genommen, und sind schon auf dem fünften Konzert in Australien. Vor mir steht ein Mädel, ich hätte gewettet, dass sie Deutsche ist, die auf dem sechsten Konzert hier in Australien ist. Also ja, ich bin etwas verrückt, aber nicht alleine damit. Nebenbei – das Mädel vor mir kommt aus Canberra, aber die Großeltern waren deutsch, also genetisch hätte ich durchaus recht gehabt.
Das Konzert begeistert wieder, er spielt diesmal einige etwas seltenere Stücke, macht aber schon nach guten drei Stunden Schluss. Gnädigerweise spielt er nicht „Bobby Jean“, ein Lied über Abschied, bei dem ich sicherlich in Tränen ausgebrochen wäre. Nach dem Konzert braucht es noch fast eine Stunde, bis sich das Verkehrschaos gelichtet hat, und dann zurück ins Motel. Hier bietet mir mein Zimmernachbar Mark noch ein Bier an, und erklärt mir die Gegend. Ich muss zugeben, wegen seines Akzentes verstehe ich wirklich nur die Hälfte.
Am nächsten Morgen finde ich noch einen Aussichtsberg über das Tal (hier hätte ich komplett ungestört im Auto schlafen können, und mir die 150 AU$ für das mittelmäßige Motel sparen können), besuche dann aufs Geratewohl noch drei Weingüter für eine kleine Probe (gut, aber nichts begeisterndes, besonders bei den Preisen), und mache dann im Auto ein kleines Nickerchen unter einem schattigen Baum, bevor ich nach Sydney fahre. Falls Ihr Euch fragt: Springsteen spielt noch Konzerte in Brisbane und Neuseeland, aber die passen wirklich nicht mehr in mein Programm. WIRKLICH NICHT.

6 Gedanken zu „Um Sydney

  1. Hi Chris,

    bin in Gedanken bei dir und ich hoffe du findest Zeit zwischen all den Tourismushighlights den „Abschied“ zu verarbeiten.
    Fühle dich gedrückt auf der anderen Seite der Erde.

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