Das kanadische Bademoden-Model

Die weißen Travertin-Terassen von Pamukkale sind ein toller Hintergrund für Fotos, sowohl für Selfies als auch Someoneelsies. Ein Chinese sucht sich den perfekten Platz aus, am Beckenrand, mit der Ortschaft rechts im Hintergrund, den höheren Terrassen links im Hintergrund, und die weiteren Wasserbecken hinter ihm, scheinbar in die Unendlichkeit abschweifend. Und er, Fu Zhang, hier in der Mitte, toll! 
Neben Fu Zhangs erwähltem Platz sitzt eine attraktive Europäerin im Bikini, die für die perfekte Bildkomposition offensichtlich nicht das richtige Auge hat. Sie wundert sich ein wenig als sich der Chinese neben sie setzt (quetscht würde auch passen), und bietet Zhang an, ihm das Feld zu überlassen, aber Zhang – immer der Gentleman – beruhigt sie, sie dürfe bleiben. Dennoch sucht sie kurz darauf das Weite, das Becken ist groß und das Wasser überall gleich.

Entsetzt angesichts seines Faux Pas springt Fu auf; versucht die Vertriebene zu besänftigen, und ich fange an, mich innerlich zu kringeln. Es geht hier um ein Gruppenbild mit Dame, aber die Dame will nicht. Mein innerliches Kringeln hat offensichtlich meine Gesichtsmuskeln erreicht, und die junge Frau lächelt belustigt zurück. Irgendwie fangen wir an zu reden, sie hinterfragt, weshalb sie als Fotomotiv dienen soll, und ich mutmaße: „Because you’re exotic“. Um meine These der europäischen Herkunft zu überprüfen, tauschen wir Nationalitäten aus (ich irrte mich: Kanada), und dann fragt der Chinese geradeaus, ob er sich mit ihr fotografieren lassen kann. Ich lasse die beiden diskutieren, denn ich bin eh schon zu spät für das leckere Mittagessen mit meiner Gruppe.

„Meine Gruppe“, das ist der zusammengewürfelte Haufen, dem ich mich am Vortrag angeschlossen habe, indem ich für 100 Teelöffel sowohl Pamukkale-Tour als auch anschließende Busfahrt nach Selçuk gebucht habe („Aus Deutschland? Ich habe Bruder in Köln, ich mach Dir guten Preis“). Die Tour enthält Transfer zum oberen Tor von Hierapolis, Eintritt, English speaking Guide und das Mittagessen. Rechnet man die Komponenten zusammen, kein schlechter Deal; analysiert man später, was man gebraucht hätte, eher übertrieben.

Hierapolis ist die Ruinenstadt, die um die heilenden Quellen von Pamukkale herum gebaut wurde. Weitaus besser erhalten als Kaunos, fotografiere ich artig Sarcophagi, umgestürzte Säulen, das Theater und die Überreste der Badehäuser. Aber die wirkliche Attraktion sind natürlich die runden, kaskadierenden Becken aus weißem Travertin, in denen türkisblaues, warmes, heilendes Wasser zum Baden einlädt. So kennt man Bilder aus Pamukkale, und in den Becken sitzen attraktive Leute mit lustigen Frisuren und Bademoden. Das hat Gründe: Der anhaltende Massentourismus hat die Becken arg mitgenommen, seit einiger Zeit ist das wilde Baden sinnvollerweise verboten, und der Wasserfluss wird kanalisiert, um möglichst viel der Becken wieder ’natürlich‘ entstehen zu lassen. Die Fotos stammen also aus vergangenen Jahrzehnten, heute gibt es in der Anlage ‚Cleopatra’s Pool‘ (angeblich die Ruinen eines weiteren Gebäudes) in dem man Baden kann, begafft von den anderen Touristen, die sich die zusätzlichen zehn Euro sparen und lieber neben dem Pool überteuerte Cola trinken. Ich spare mir die Erlebniswelt mit echt antiken Säulen aus hochmodernem Beton auch, gaffe aber natürlich nicht, sondern beobachte lediglich interessiert bemerkenswerte Exemplare der Gattung Homo Sapiens. Von dem Terassenerlebnis ist lediglich ein abgegrenzter Bereich übrig, wo man barfuss durch einige Becken den Weg zum unteren Ausgang beschreiten kann. Und dort treffe ich eben Kim, die Kanadierin die für Chinesen als Bademoden-Model fungiert.

Dass sie Kim heißt erfahre ich erst später, denn sie sitzt im gleichen Bus für die dreistündige Fahrt gen Westen („Hello, Canada!“ – „Oh, hi Germany“). Wir quatschen die ganze Fahrt durch, verstehen uns super, und ich ändere kurzfristig mein Ziel auf Kuşabasi – mal sehen ob Kims Ho(s)tel auch für mich Platz hat – und habe ein Date zum Dinner.

Die Änderung meines Zielortes ist übrigens nicht besonders dramatisch. Das touristische Ziel, die Ruinen von Ephesos, liegen zwischen Selçuk und Kuşabası; ersteres wäre ruhiger, letzteres ist Ziel von Kreuzfahrtschiffen und deshalb touristisch besser erschlossen.

Leider hat Kim Ephesos schon gesehen, aber da wir uns auch beim etwas zu edel geratenem Fisch-Abendessen noch gut verstehen, planen wir beide um: Sie fährt erst am übernächsten Tag, dafür direkt von Kuşabasi zum Flughafen von Izmir, und ich fahre einen Tag später um Ephesos zu besichtigen. So verbringen wir einen faulen Tag im Milli Nationalpark bei Güzelcamli, komplett mit Fahrt im lokalen Dolmuş, Baden am Strand, Picknick, Kraxelwanderung durch den Busch und einem Besuch der gänzlich unspektakulären Grotte des Zeus. Schade, dass Kim heim muss, aber dafür habe ich jetzt einen Kontakt auf Vancouver Island.

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