Great Barrier Reef

Auch James Cook wollte das Great Barrier Reef bei seiner Erkundung von Australien wohl aus der Nähe betrachten, jedenfalls ist er ihm am 10 Juni 1770 sehr nahe gekommen, zu nahe. Die HMB Endeavour lief auf das Riff auf, und konnte erst  befreit werden, als ca. ein Viertel der gesamten Masse des Schiffes über Bord geworfen wurde. Kanonen, Anker, Ballast, Wasservorräte und angegammelte Lebensmittel (obwohl das Füttern von Fischen am Riff doch streng verboten ist). Danach wurde ein Loch im Schiff geflickt, indem ein Segel unter den Rumpf gezogen wurde, und das Leck so bremste, und man ruderte einige Tage lang bis man endlich einen geeigneten Ort fand, um das Schiff besser zu flicken, nämlich an der Mündung des Flusses Endeavour (was ja in Anbetracht des Schiffsnamens ganz gut passte). Da Lieutenant Cook -damals war er noch nicht Captain – sicher nicht mitruderte, verbrachte er die Zeit damit, den verschiedenen Landmarken an der Küste Namen zu geben, wie beispielsweise Cape Tribulation, Kap Beschwerlichkeit oder Widerwärtigkeit. Das sagt wohl einiges über seine Stimmung zu dem Zeitpunkt aus.

Einschub: Ich hab mir schon öfters auf der Fahrt überlegt, wie die Siedler damals zu den ganzen Namen gekommen sind. Das muss doch irgendwie schwierig sein, wenn man in eine ganz neue Gegend kommt, und plötzlich alles benennen will. Stellen wir uns vor, wir sind in den Alpen, und die ganzen Berge brauchen Namen, jetzt. Ein paar sehen vielleicht aus wie etwas bekanntes, den nennen wir Fischflossenberg, den nennen wir nach dem Wetter Nebelspitze, aber dann: vielleicht alle ehemaligen Partner verewigen? Insofern profitierten die frühen Siedler wohl von ihrer eher geringen Mobilität – sie mussten nicht so viele Landmarken auf einmal benennen.

Cape Tribulation ist jedenfalls der nördlichste Punkt meiner Reise in Australien, ich gehe dort etwas am Strand spazieren. Das Kap selber ist nicht besonders spektakulär, und niemand hat darauf einen adretten Leuchtturm gebaut, nicht mal einen Aussichtspunkt. Nur Strand, und direkt dahinter der Regenwald, hier in seiner tropischen Ausprägung. Auf der Fahrt hierher habe ich einen wilden Cassowary gesehen, ein endemisch australischer Vogel, den ich vorher noch nicht kannte: Eine Art Strauss, aber mit leuchtend blau/rotem Kopf. Wahrscheinlich hätte ich ihn übersehen, wenn da nicht das Auto auf der Gegenspur gewesen wäre. Was hält dieser Volltrottel mitten auf der Straße, frage ich mich, aber dann sehe ich den Fahrer durch die Windschutzscheibe hindurch mit einem Foto blitzen. Also blockiere ich auch meine Spur, und gucke mich nach seinem Motiv um. Ach ja, neben der anderen Straßenseite, keine vier Meter entfernt, steht der mannshohe Vogel. Fenster runterlassen, der Cassowary schaut irritiert, vielleicht mag er kein U2, und ich mache die Musik leiser. Foto geschnappt, schnell abgedrückt, aber es ist recht dunkel, und die Kamera steht auf dem falschen ISO-Wert. So hat das Foto zwar Beweischarakter, ist aber recht unscharf. Bis ich die Einstellungen korrigiert habe, dreht sich der vom Aussterben bedrohte Vogel ohne Hast um und verschwindet im Wald.
Mir gelingt danach auch noch ein scharfes Foto, aber da ist der Vogel halb von Regenwaldgestrüpp verdeckt. Egal, ein gutes Foto habe ich im Zoo gemacht. Gleich um die Ecke gibt es noch einen kostenpflichtigen Walkway durch Regenwald und Baumwipfel, dafür werden 21€ aufgerufen, obwohl sie nicht einmal eine Cassowary Sichtung garantieren. Ich verzichte, es ist schon etwas spät, und so eine Baumwipfeltour habe ich im bayrischen Wald sowieso schon einmal gemacht. Jetzt fehlt mir noch ein wildlebendes Krokodil, doch obwohl an allen Stränden und sonstigen Wasserwegen vor ihnen gewarnt wird, schwimmt mir keines vor die Linse.
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Cape Tribulation und der Cassowary sind beide im Daintree National Park. Eine kurze Fährfahrt über den gleichnamigen Fluss, und dann sind’s noch etwa fünfzehn Kilometer asphaltierte Straße nach Norden. Ab da gibt es zumindest an der Küste nur noch eine unbefestigte Straße, die Geländewägen vorbehalten ist. Der Daintree NP ist für seinen tropischen Regenwald bekannt, der sich von hier bis an die rechte obere Spitze Australiens, Cape York, zieht. Verschiedene kurze Nature Walks bringen dem Touristen den Regenwald näher. Heute hat es zwar nicht geregnet, aber heiß und schwül ist es dennoch. Hier herrscht eine grandiose Fruchtbarkeit, die aber gleichzeitig zerstörerisch ist. Alles ist grün, wächst, strebt himmelwärts, was es allerdings nicht schafft landet auf dem Boden und wird bald zu einem schwarzen Moder zersetzt. Etwas näher am Meer wird der Regenwald von Mangroven abgelöst. Diese bilden abenteuerliche Wurzelwerke, die versuchen den Baum in alle Richtungen zu stablisieren, aber auch ab und an Schnorcheln bilden, damit der Baum in dem sauerstoffarmen Schlamm nicht zugrunde geht. Aber auch hier – kein Krokodil. Mit Einbruch der Dämmerung mache ich zurück auf den Weg nach Cairns. Am nächsten Morgen ist mal wieder früh aufstehen angesagt, das Schiff fährt um 8:00 morgens.
Die Tusa T6 ist ein großer Katamaran, von der Information als das Top-Angebot angepriesen. Es finden maximal 60 Leute darauf Platz, heute sind wir schätzungsweise zu vierzigst, eine bunte Mischung aus Schnorchlern, Tauchern ohne Schein (maximal sechs Meter Tauchtiefe, immer schön an der Hand eines Ausbilders, und doppelt so teuer), und die touristische Oberklasse, „certified Divers“. Sarah macht für unsere Gruppe von fünf Gästen eine Einführung, nimmt mich als unerfahrensten wieder unter ihre Fittiche, und los geht’s. An der Magic Wall des Saxon Reef geht’s hinab. Die Sicht ist nicht perfekt, aber dennoch komme ich mir vor wie in einem gigantischen Aquarium. Toll, aber das Tauchen in Thailand kann da durchaus mithalten. Ich komme mit dem Tauchen ganz gut zurecht, ich brauche immer weniger Luft um meine Tiefe zu halten. Was mich eher überrascht sind zwei Mädels aus meiner Gruppe, einer davon geht ziemlich schnell die Luft aus, und sie müssen nach knapp 25 Minuten wieder nach oben. Wo hat die eher zierliche die ganze Luft überhaupt hingeschnauft? Ich komme mit meiner Luft immerhin vierzig Minuten aus, im letzten Tauchgang sogar 48. Es scheint, als gäbe es unter Tauchern einen unausgesprochenen Ethos, dass – da man bis auf 18 Meter Tiefe tauchen kann – man es auch tut. So kann ich meine neu gefundene Kamera jeweils nicht mitnehmen, denn die ist nur für 10 Meter Tiefe geeignet. Schade, denn ich finde es in Tiefen von zwei bis fünf Meter eigentlich am schönsten, hier kommt noch viel Sonne hin, die Farben sind brillianter. Es ist zwar eine Welt, die man beim Schnorcheln auch sieht, man kann ja auch kurz so weit runter tauchen, aber halt nicht entspannt bleiben. Und wenn man einfach mal in drei Meter Tiefe vor einer Anemone ausharren kann, bis sich die Clownfische wieder entspannt hervortrauen, das würde schon schönere Fotos geben. Irgendwie wittere ich auch eine Verschwörung mit der bordeigenen Fotografin – wenn die ganzen Taucher mit preiswerten Digicams Fotos von sich selber machen, dann bekommt die ja nie ihre Fotoserie verkauft. Und sie möchte immerhin über 60€ für Ihre Fotos, dafür bekommt man dann alle auf denen man zu sehen ist. Ich verzichte, und finde statt dessen nach dem letzten Tauchgang noch eine Viertelstunde Zeit zum Schnorcheln. Außerdem buche ich für den nächsten Tag eine Überfahrt nach Fitzroy Island – eine preiswerte Lösung um von dort vom Strand aus zu schnorcheln. Hier verbringe ich entspannte zweieinhalb Stunden im Wasser, auch wenn die Sicht nicht so toll ist, fotografiere nach Herzenslust (die Fotos sind ja schon etwas länger online), und sehe sogar eine Schildkröte. Auch an den Ganzkörperanzug gewöhnt man sich nach einiger Zeit – hier oben sind sehr schmerzhafte Quallen mittlerweile für einige Monate im Jahr eine Plage. Wieder an Land muss ich noch mein Auto ausräumen – an den Passat habe ich gut gewöhnt in den Wochen. Der Schlafsack darf noch mit nach Uluru, meine Kühlbox schenke ich dem Hausmeister vom Holiday Inn, der ist begeistert, erklärt mir gleich wie toll er die auf seinem Boot brauchen kann. So beschließe ich meine Zeit in Cairns, morgen geht’s wieder nach Süden; der Flug nach Tasmanien ist mittlerweile gebucht.

Auf dem Bruce Highway

Über das sanfte Klimpern der akustischen Gitarre beginnt das gänsehauterzeugende Mundharmonikasolo, und wirkt. Dann beginnt Springsteen zu singen, singt von dem Tal aus dem er kommt, wo sich seit Jahren nichts geändert hat, von Mary, die er kennenlernte als sie gerade erst siebzehn war. „We’d go down to the river, into the river we’d dive, oh down to the river we’d ride.“ Etwas später heiratet er die schwangere Mary, in einer schmucklosen Zeremonie, nach der sie wieder an den Fluss fahren. Ihre Träume lösen sich vor dem Hintergrund schwieriger wirtschaftlicher Verhältnisse auf, aber am Fluss finden sie Trost. Bruce Springsteen nimmt einen mit in seine Welt, man spürt die Hoffnungslosigkeit eines einfachen amerikanischen Lebens. Göttlich. Ich mache das Autoradio lauter und spiele das Lied nochmal.
Es ist neun Uhr Abends, und ich strebe auf dem Bruce Highway, benannt nach Henry Adam Bruce, in den 1930er Verkehrsminister aus Queensland, weiter nach Nordenwesten. Die Musik aus dem ipod, per Blauzahn an meinen VW übermittelt, löst eine Stunde schrulliges australisches Lokalradio ab. Über solche Sendungen bin ich hier schon öfters gestolpert. Eine zaghafte Stimme erzählt etwas über alte Blues und Soul Legenden, man hat den Eindruck, die Dame kannte schon Robert Johnson persönlich. Sie wirkt ziemlich zerstreut – was wollte ich jetzt gerade spielen? Ach ja, hier ist es ja. Oh, das ist jetzt blöd, ich hab die CD gestern daheim gehört, und jetzt nur die Hülle mitgebracht; na dann, dann spiele ich Euch jetzt, hm, ja was denn? Ich weiß, hier ein Klassiker von Leadbelly. Im Hintergrund hört man derweil hektisches Hantieren mit CD Hüllen und anderen Tonträgern. Dafür kenne ich kein einziges der Lieder, aber sie gefallen mir alle. Mal sehen ob’s das als Internetradio gibt.
Der Bruce Highway zieht sich knapp 1700 km von Brisbane nach Cairns, und ich habe fast seine gesamte Länge erlebt. Es zieht sich. Seit einiger Zeit ist die Straße von Zuckerrohrfeldern gesäumt. In der Dunkelheit sehe ich sie nicht mehr, aber der Navi zeigt säuberlich ein feines Netz von Schienen beidseits der Straße an. Das ist eine Schmalspur-Feldbahn, die offensichtlich das geerntete Zuckerrohr transportiert. Wer in aller Welt braucht so viel Zucker frage, ich mich? Ach ja, Amerika, für Junk Food. Es ist stockdunkel, im Fernlicht wirkt die meist zweispurige Straße aber wie eine surreale Landebahn. Hier hat sich ein Hersteller von Reflektoren dumm und dämlich verdient. In Australien hält man sich zumeist an die Geschwindigkeitsbeschränkungen, alle fahren brav so um die hundert Stundenkilometer, die meisten wohl mit Tempomat. Ich schätze, die geringen Geschwindigkeitsunterschiede beruhen auf unterschiedlichen Abweichungen der Tachos. Mein Tempomat ist auf 107km/h eingestellt, eine GPS-App hat das als 102 Stundenkilometer deklariert, damit habe ich kein schlechtes Gewissen.
Das ländliche Australien erinnert mich an die vielen Nachtfahrten von Moskau nach Smolensk oder zurück. Auch hier eine große Leere, nur selten unterbrochen durch ein einsames Haus oder kleine Siedlung, die außen meist von einer einzigen, grell-blauen Quecksilberdampflampe beleuchtet sind. Ein leicht melancholisches Lied passt zu der Stimmung.
Um drei Uhr nachmittags bin ich in Agnes Water abgefahren. Vany vom Fraser Island hatte hier eine Surfschule aufgetan, die für 17 AU$ eine dreistündige Einführung macht. Das, so denke ich mir, kannste einfach mal probieren. Ich habe lange gezögert, zu cool die ganze Szene, zu sehr riecht das ganze nach MidlifeCrisis. Dabei kann ich ja gar keine Midlife Crisis haben – keine Frau, keine Kinder, kein Job. Also los, jetzt hast Du oft genug nur zugeschaut, und es ist mir doch wurscht, was die denken. Insgesamt tummeln sich vierzig Surfnovizen vor dem Laden, und ich bin nicht einmal der Älteste. Ich treffe auch Nadja wieder, mit der ich vor zwei Tagen im Woolshed Hostel Wein getrunken habe. Jeder bekommt ein Lycrahemd geliehen, und ein billiges Schaumstoffsurfbrett. Nicht, so erklärt Jay, weil es billig ist, sondern weil es weniger schmerzt, wenn man beim ungeschickten Absteigen reinbeißt. Dann ein paar Trockenübungen. Zum Paddeln die Füße hinten am Brett einhaken, check. Wenn das Board anfängt, vor der Welle zu surfen, Füße hoch, Arme unter die Brust stemmen, Hohlkreuz, check. Und dann, mit einem einfachen Schwupps, aufspringen und aufs Surfboard stellen, dabei die Knie anwinkeln. Wie, Schwupps? Einfach so? Das klappt bei meiner Statur nicht wirklich. Dieser Körper ist auf’s Genießen ausgelegt, nicht auf Schwupps. Es gibt auch ein langsamere Methode, aber die ist natürlich nicht cool. Aber schon geht’s ab ins Wasser, sauber hintereinander laufen wir an einem Ende des Strandes in die Brandung, bis das Wasser brusthoch ist. Board wenden, drauflegen, die Coaches halten einen noch fest und gerade ausgerichtet bis die richtige Welle kommt, sie sagen einem, wann man wie wild lospaddeln soll, und brüllen auch noch hinterher wenn man Schwupps machen sollte. Ein paar Fahrten habe ich geschafft, mit einem Fuß und einem Knie auf dem Brett, aber das war’s. Die meisten anderen stellen sich geschickter an. Insgesamt kommt jeder an dem Vormittag ungefähr fünfzehnmal zum Zug, witzig war’s und auch erschöpfend. Dann noch ein Gruppenfoto, jeder macht die ‚Hang loose‘ Geste und das war’s. Ich stelle fest: Wellenreiten kommt an Platz 37 auf die Liste der Sachen, für die ich kein Naturtalent habe, aber ich hab’s probiert.
Mittlerweile ist es zehn Uhr abends, es regnet in Strömen, und mich hat noch keine Unterkunft angelacht. Bis Airlie Beach sind es noch vier Stunden, und es bringt auch nichts dort um zwei Uhr morgens anzukommen. Also fahre ich auf eine Nebenstraße, finde einen kleinen Abzweig in ein Feld, und bin erstaunt über meine Gelenkigkeit, als ich im Auto verbleibend die Rückbank umklappe, meine Luftmatratze und Schlafsack herrichte, und reinklettere. Irgendwann um fünf Uhr morgens wache ich auf, es hat aufgehört zu regnen, und ich muss mal kurz raus. Leider reichen die dreißig Sekunden offene Tür um auch ungefähr acht Mücken ins Auto zu lassen. Ich versuche sie zu ignorieren, aber nach drei Bissen und der Erkenntnis, dass ich im dunklen Auto keine Chance habe, die Dinger zu ermorden, beende ich die Nacht und setze mich ans Steuer, wieder ohne die Tür zu öffnen. Mit dem Gebläse auf voller Kraft und wiederholtem öffnen der Scheiben müssen sich die Mücken setzen und festhalten, mit großer Genugtuung kann ich eine an der Seitenscheibe mit einem beeindruckenden Blutfleck erschlagen. Das geschieht ihr recht. Nachdem das Auto nach einer Stunde wieder mückenfrei ist mache ich an einem Rastplatz einen kleinen Powernap, und komme um halb elf in Airlie Beach, dem Ausgangspunkt zu den Whitsunday Islands, an.
Es regnet wieder, und ich nehme einen Burger als Frühstück. Eigentlich hatte ich vorgehabt, einen zwei oder dreitägigen Segeltörn hier zu machen (als Passagier), aber leider ist der Regen ein Ausläufer vom tropischen Sturm Hadi. Acht Windstärken zeigte mein Segel-App gestern in Whitehaven an, In Airlie Beach muss richtig Programm gewesen sein. Bei den Bedingungen fahren heute keine Boote raus. Vielleicht morgen, vielleicht auch nicht. Natürlich gibt es dadurch massive Verwerfungen, weil viele Leute mit festen Buchungen nicht fahren konnten, und natürlich jeweils auf den nächsten Tag verschoben werden. Die Tourist Information nimmt erst ab 15:00 wieder Buchungen an, bis dahin wird entschieden, ob am nächsten Tag die Boote fahren. Die Dame bietet mir einen Rundflug für den nächsten Tag mittags an, der wäre weniger abhängig von den Wellen. Ich finde aber eine nette Unterkunft auf einem Hügel mit einem tollen Blick auf den wolkenverhangenen Hafen, da ist die Untätigkeit nicht so schlimm. Hier entspanne ich den Rest des Tages, den nächsten Vormittag, und auch den restlichen Tag – der Flug wurde kurzfristig abgesagt, mir wird ein Ausweichtermin am nächsten Morgen um 8:00 angeboten – perfekt für einen Frühaufsteher wie mich.
So schaffe ich am dritten Tag in Airlie Beach immerhin einen Flug über die Inseln der Whitsundays, und einen kleinen Überflug des Great Barrier Reefs hier. Für den Tag danach kann ich trotz prekärer Buchungssituation noch eine Bootsfahrt buchen, zwar nicht an den Hauptattraktionsstrand, dafür mit Tauchen und auf einem Segelboot. Wie üblich enthält die Buchung das Abholen, was auch mit nur einer halben Stunde Verspätung klappt. Das Boot heißt Illusions, und auf dem Weg zu den vorgelagerten Inseln bezieht sich das auf die Eigenschaft als Segelboot. Die Segel sind zwar gesetzt, aber der Vortrieb kommt von den schnurrenden Dieselmotoren. Es erweist sich als sehr wertvoll, dass ich einen Tauchschein habe, auch wenn mir die Praxis fehlt, immerhin darf ich mit. Ich werde von der Tauchführerin unter die Fittiche genommen, Naomi wirkt allerdings nicht wirklich entspannt. Auf zehn Meter tiefe beschließt sie, dass meine Tauchmaske Scheiße ist, und tauscht sie gegen ein mitgebrachtes Ersatzmodell aus. Ich denke mir dabei, was mich jetzt nervöser machen würde, wenn mich sowas nervös machen würde. Ab und zu mal etwas Wasser aus der Maske blasen, oder auf zehn Meter Tiefe ganz ohne rumzuschwimmen? Wir schwimmen durch ein paar Tunnel, dabei zupft Naomi an meiner Tauchflasche rum, was wirklich irritiert. Die Sicht ist auch miserabel, durch den Sturm der letzten Tage ist der Sand aufgewühlt und das Wasser total trüb. Immerhin hat’s einige große Fische, größer als in Thailand, aber sonst war’s da bislang besser. Nach dem Tauchgang gehe ich vom Strand aus noch ein wenig mit meiner furchtbaren Billigkamera schnorcheln. Im Trüben kann ich einige Fische fotografieren, bis auch das Objektiv der Kamera total beschlagen ist. Noch einige kleine Fische, und dann sehe ich, wie mich von hinter einem Stein ein eher seltener Meeresbewohner ins Visier nimmt. Da hat jemand eine Canon Powershot D10 ausgesetzt. Ich tauche die drei Meter runter, und sammle sie ein. Sie gehört niemandem am Strand, und niemandem auf unserem Boot, also jetzt mir. Damit habe ich jetzt fünf Digitalkameras dabei, die neue macht meine kompakte Hosentaschenkamera und die billige Wasserdichte irgendwie überflüssig, mal sehen ob ich die nach Deutschland schicken kann. Auf dem Rückweg nach Airlie Beach segeln wir tatsächlich, auf dem Vordeck des Katamarans sitze ich mit einigen anderen Deutschen, und wir erfreuen uns an einer Achterbahnfahrt durch die Wellentäler die uns regelmäßige mit Seewasser überschüttet. Um halb fünf sind wir wieder im Hafen, mein nächstes Ziel ist Cairns, ca. 700km entfernt. Ich teile die Strecke lieber auf, und fahre noch vier Stunden nach Townsville, ungefähr auf halber Strecke. Während der Fahrt überlege ich, ob ich – wie ursprünglich von mir gedacht – ab Cairns fliege, oder ob ich die Strecke nach Alice Springs und Uluru, und danach wieder nach Adelaide, mit dem Auto fahre. Die Strecke ist durchgehend asphaltiert. Vorteil: keine One-way Gebühr beim Mietwagen, mal echten australischen Outback erleben, Ich kann die unverschämt teuren Flüge nach Alice Springs umgehen, habe Flexibilität und behalte mein sehr komfortables Auto. Nachteil: 4000 km Auto fahren, und das zieht sich schon hier an der Küste so.
Am nächsten Tag fahre ich noch den Rest der Strecke, vertraue mich der Tourist Information, an und bekomme für den übernächsten Tag eine Tauchfahrt zum Great Barrier Reef gebucht. Dann schaue ich mir an dem Tag dazwischen noch den tropischen Regenwald nördlich von Cairns an. Nebenbei schlägt der Berater Sargnägel in meine Idee, mit dem Auto durchs zentrales Australien zu fahren – gefährlich, weil nur rücksichtslose LKW unterwegs, und Du ist alleine? You’re crazy. Also nicht. Mit einer Übernachtungs-App stelle ich fest, dass das Holiday Inn direkt an der Esplanade Zimmer für 109  AU$ hätte, das gönne ich mir doch. Ich gehe aber einfach an die Rezeption, hier wird mir ein Zimmer für 129 Dollar angeboten. Ich zucke, da rückt der Empfangsmensch noch mit einem Sonderangebot raus: 105 Dollar für eine recht vernünftige Zimmerklasse. Wirklich vernünftig, ein echtes Hotelzimmer mit Schreibtisch, WiFi, Balkon, Meeresblick (etwas um die Ecke), ich freue mich, und nutzte das Internet um die weiteren Aspekte meiner Reise zu planen. Noch habe ich keine weiteren Flüge, und auch nur einen recht vagen Plan.

Weiter nach Norden

Mit einem erotischen Hüftschwung kommt die Schönheit auf mich zu. Salzwasser perlt aus ihrem blonden Haar über den bronzefarbenen Körper, der gelbe Bikini bietet dazu einen perfekten Kontrast. Die Sonne glitzert in den Wassertropfen. Sand haftet an ihren Füßen, die Leine zu dem weißen Surfboard hinterlässt eine witzige Spur im Sand hinter ihr. Sie lächelt, zum dahinschmelzen. Sie kommt näher, immer näher, Ihre Präsenz ist schon spürbar – und geht vorbei. Wahrscheinlich warten da hinten ihr Freund. Ich schüttle alle mögliche Gedanken aus meinem Kopf und laufe weiter am Strand von Byron Bay entlang. Am Ende des Strandes, auf den Felsen, die dort ein kleines Kap bilden, ist eine Aussichtsplatform, dort postiere ich mich und schaue den Surfern zu. Sie tragen ihr Board an den Felsen entlang, und paddeln dann das letzte Stück. Die noch runden Wellen türmen sich hier auf und beginnen vor den Felsen der Landzunge zu brechen. Von diesem ‚Point Break‘ setzt sich die Welle in Richtung Strand fort. Offensichtlich kann man die Welle am längsten reiten, wenn man sie hier erwischt. Sieht aus meiner Perspektive nicht ganz ungefährlich aus, denn die Surfer paddeln nur wenige Meter vor den Felsen umher, auf denen sich die Welle dann tobend bricht. Nach einer für mich nicht erkennbaren Rangordnung dreht sich dann einer der Surfer Richtung Land und beginnt wild zu paddeln. Die Welle hebt ihn an, mit einem schnellen Schwupps schwingt sich der Surfer auf und steht auf seinem Brett. Dann fährt er an der Vorderseite der Welle ab, kommt aber nicht unten an, weil die Welle ihn dabei ständig zu überholen trachtet, und fährt schräg von der Landzunge weg, auf den Strand zu. Hier häufen sich paddelnde oder abgeworfene Surfer, die sich nicht ganz bis zum Point Break vortrauen, und der der Surfer schwingt lässig von links nach rechts um sie nicht zu überfahren. Während ich beobachte habe ich keine Kollision erlebt, aber statistisch müsste hier einiges passieren. Irgendwann ist die Welle nicht mehr aufregend genug, es wird abgestiegen, und an der Landzunge entlang wieder rausgepaddelt. Entgegen meiner durch Videos und Fotos von Surfern genährten Vorstellung sind die Wellen übrigens nicht über mannshoch, bilden auch nicht die perfekte Röhre in der gesurft wird. Offensichtlich reichen Wellen, die ungefähr 40-80 cm hoch sind auch, um cool auszusehen. Die bronzefarbene Schönheit ist nicht wieder aufgetaucht, und so gehe ich an der nächsten Bucht entlang um den Pfad zum Cape Byron Leuchtturm zu erwischen. Von einer Anhöhe dabei sehe ich einige Delfine die scheinbar auch zum Surfen hier sind, aber keinen Strand brauchen um ins Wasser zu kommen. Der weiß getünchte Leuchtturm erhebt sich majestätisch gegen den blauen Himmel, die üppige grüne Gestrüpp darunter vervollständigt das Bild. Hier ist das östlichste Ende des australischen Kontinents, und wohl auch der östlichste Punkt meiner Reise. Somit geht die Fahrt ab hier in eher nordwestlicher Richtung weiter, und da sich die Sonne schon wieder langsam dem Horizont nähert, fahre ich noch ein kurzes Stück und suche mir eine Unterkunft. Kurz hinter Byron Bay fängt Queensland an, der Küstenabschnitt nennt sich Gold Coast und ist erstmal eine Abfolge von Strandferienorten, viel in hässlicher Ferienburgbauweise. Immerhin ist so die Konkurrenz zwischen den Unterkünften groß, und da Nebensaison ist, finde ich etwas günstiges. Es ist sauber.
Als Alternativen für den nächsten Morgen bietet sich weiter die Fahrt entlang der Küste, in ewigem Urban Sprawl und Ferienbunkern an, oder ein kurzer Abstecher zum Lamington National Park, wieder ein Regenwald. Regenwald reizt mich mehr. Auch dieser wird seinem Namen gerecht, allerdings ist Regen und Nebel hier so heftig, dass ich davon absehe, die zwanzig Minuten zu dem sicherlich auch nebelumhüllten Aussichtspunkt zu laufen. Was ich mir allerdings denke: Vielleicht könnte sich ein weiterer Urlaub hier lohnen, in dem man hauptsächlich die offensichtlich reich vorhandenen Wanderwege in australischen Nationalparks macht.
Ich studiere den Reiseführer zu meinem nächsten Ziel, Brisbane. Hm. Wenn ich die Beschreibung der Stadt mit der von Sydney und Melbourne vergleiche, so mussten die Autoren hier schon arg kreativ werden, um überhaupt was zu schreiben. Das Fazit scheint zu sein: Nette Großstadt ohne extreme touristischen Highlights. Ich beschließe eine Stadtrundfahrt und Mittagessen in einem zum Kulturzentrum umgebauten Kraftwerk. Die Stadtrundfahrt kommt übrigens ganz von alleine, wenn man ‚Mautstraßen vermeiden‘ am Navi einstellt, und dann zum Restaurant bzw. weiter nach Norden fährt. Von Hildegard und Walter wurden mir die Glass House Mountains empfohlen, und dort das King Ludwig Restaurant (ja, der von Bayern). Die machen leider sechs Wochen Ferien, wohl wegen Reichtum geschlossen, aber ich finde eine sehr nette Öko-Pension (solar erwärmtes Warmwasser). Ich erlebe die Abendsonne und die Morgensonne (na ja, eher die Vormittagssonne) in den Glass House Mountains, die ihren Namen von James Cook bekamen – er fuhr hier an der Küste entlang, sah die Berge in der weiten Entfernung, und da ihn die auffälligen Kegel mitten im flachen Land an die Glashütten seiner Heimat erinnerten benannte er diese Berge von See aus.
Ein Stückchen weiter die Straße entlang ist ‚Steve Irving’s Australia Zoo‘, seit ca. 100km in immer kürzer werdenden Abständen beworben. Auch meine Gastwirtin empfiehlt ihn mir wärmstens, also why not. Ich werde nicht enttäuscht. Der Zoo ist extrem besucherfreundlich aufbereitet, und wendet sich besonders an Kinder (egal wie groß). Zu den Tieren gibt es ‚Fun Facts‘, und viel populärwissenschaftlich aufbereitete Information zum Naturschutz und der Anteil des Einzelnen daran. Außerdem gibt es offensichtlich das Lernziel: Vorsicht um Wasserwege in Queensland und der nördlichen Küste von Australien – hier gibt’s Krokodile, und wir zeigen Euch mal ganz schnell wie fix die sein können. Dazu gibt es ein Crocoseum, eine große Arena mit einem angedeuteten Flusslauf in der Mitte. Um 12:00 gibt’s die große Show: Papageien, Cockatoos, Greifvögel und ein Andenkondor fliegen durch die Arena, der Cockatoo apportiert der Trainerin eine Fünf-Dollar Note. Helfer tragen Phytons durch die Ränge. Dann wird ein Freiwilliger gesucht, zum Krokodil füttern. Das ganze mit viel Humor – als der Freiwillige am Fluss steht, verschwinden die Trainer schnell aus der Umzäunung heraus: es war nicht so gedacht, dass der Freiwillige etwas an das Krokodil verfüttert, er würde vollkommen ausreichen. Kleines Späßchen, er bekommt doch ein Fisch, spannende Musik aus dem Weißen Hai setzt ein, alle starren gebannt auf den Wassereingang, und da erscheint es schon: ein etwa meterlanges Baby-Krokodil, was vorher auf dem Arm einer der Trainerinnen spazieren getragen wurde. Alle lachen, das Krokodil wird mühsam angelockt, alles wirkt träge, aber der Freiwillige erschreckt dann doch ziemlich als der Kleine die vier Meter zwischen Ufer und dem Futterhalter mit einem Sekundenspurt zurücklegt. Danach wird der Amateur weggeschickt, und zwei Profis füttern mit gehörigem Respekt ein Vier-Meter-Krokodil. Am meisten hat mich beeindruckt, wie sich das Viech über zwei Meter senkrecht aus dem Wasser katapultieren kann, wenn dort mit einem Fisch gewedelt wird. Lernziel erreicht. Es gibt in dem Zoo auch ein paar unaustralische Tiere – Tiger, Giraffen, Nashörner und Zebras – aber der meiste Raum wird einheimischen Sorten gegeben. Auch hier kann man Kängurus füttern und streicheln, aber im Gehege sind klare Bereiche ausgewiesen „This is our rest area, please give us some peace“ wo sich die Kängurus – würden sie lesen können – vor den Kindern zurückziehen. Ein kleines Highlight waren aber die Koala-Streichelbäume. In einem größeren Gehege stehen acht ‚Bäume‘ (totes Holz & frische Eukalyptuszweige), und sechs davon sind mit Koalas besetzt. Eine Angestellte fährt im Viertelstundentakt eine kleine Treppe an die Bäume, damit die Kinder die dort sitzenden Koalas streicheln können (ich darf auch), und an den restlichen Bäumen hängt ein Schild „I’m resting, please give me some time“. Ich frage die Wärterin, wie das die Koalas vertragen, und sie überzeugt mich mit dem Hinweis, dass sie ja freiwillig da sind – in dem Gehege gibt es noch genügend andere, genügend hohe Bäume, auch einige von denen sind von streichelunwilligen aschgrauen Beutelbären besetzt. Dann noch ein paar Terrarien mit Schlangen, meist mit ‚giftig‘ gekennzeichnet, und ich verlasse den Zoo. Meinen Zeitplan habe ich wie üblich nicht eingehalten, ich werde wohl heute nicht mehr nach Hervey Bay kommen. Ich fahre bis ca. 21:00 und finde dann eine Unterkunft in Maryborough – sauber.
Am nächsten Morgen fahre ich noch die letzte halbe Stunde nach Hervey Bay, und vertraue mich dort der Tourist Information an. Wenige Minuten später habe ich einen Plan und eine Unterkunft. Die Bayshore Holiday Appartments haben einen Kampfpreis um ihre Auslastung in der Nebensaison zu erhöhen, für den gleichen Preis eines, ‚Na-ja-immerhin-sauber-Motels‘ bekomme ich ein kleines Reihenhaus. Küche, Waschküche und Wohnzimmer unten, Schlafzimmer und Bad oben. Ich nehme mir vor, hier mal wieder einiges zu schreiben, und scheitere kläglich – dafür erhole ich mich und lese endlich mal wieder mehr. Für den nächsten Tag habe ich einen Ausflug auf Fraser Island gebucht. Auf der Insel sind nur vierradgetriebene Fahrzeuge erlaubt, ich überlegte schon, ob ich mir einfach kurz ein solches zusätzlich mieten sollte (das wäre schön dekadent, gleichzeitig zwei Auto gemietet zu haben), aber statt dessen habe ich die große Busoption gewählt – vierzig Sitzplätze, die Hälfte belegt. Auf der Insel angekommen, kann ich mich überzeugen, warum Vierradantrieb notwendig wäre: Fraser Island besteht nur aus Sand, überzogen mit einer dünnen Schicht Muttererde, auf dem ein dichter Wald wächst. Alle ‚Straßen‘ bestehen weiche Sandpisten, auch unser Bus (ein Busaufbau auf einem 4WD Militärlaster) bleibt ein paar Mal fast stecken. Graham, unser Fahrer und Führer erzählt von der Hochsaison nach Weihnachten, wo hier lauter private Geländewägen die Straßen verstopfen, seiner Meinung nach wahrscheinlich weil die meisten Fahrer ihre Geländewägen erst zu Weihnachten bekommen hätten. Sehenswürdigkeiten auf Fraser Island sind: Der Regenwald, einige bemerkenswerte Seen, ein langer Sandstrand (wer hätte das gedacht) komplett mit Schiffswrack, Sanddünen und einige Frischwasserbäche. In diesem Teil von Australien ist die Konzentration an deutschen Urlaubern recht hoch, gefühlt 75% in dem Bus hat den gleichen Pass wie ich. Ich lerne Vany kennen (Vanessa getauft), aus Bayreuth. Vany kommt aus Bayreuth, ist dreiundzwanzig und schätzt mich über ein Jahrzehnt jünger als ich bin (also bleibt nach Abzug des Höflichkeitsbonus immer noch was übrig). Auf die Frage, ob ich Bayreuth kennen würde, beschreibe ich die mir in Erinnerung gebliebene Baustelle für den Tunnel an der A9. Aber der ist doch schon immer da, meint Vany; offensichtlich bin ich halt doch schon zwanzig Jahre älter als sie.
Während die Fahrt im Inneren der Insel eher mühsam wirkt, bietet der Strand fast eine Autobahn. Dennoch ist er auf 80 km/h beschränkt. Auf einmal steht am Strand ein kleines Flugzeug, für zusätzliche fünfzig Euro wird ein kleiner Rundflug angeboten. Ehrensache, so einen Scheiß mache ich natürlich mit. Nach zwanzig Minuten treffen wir den Bus wieder, an dem Wrack der SS Maheno. Das rostbraune Gerippe gibt einen tollen Kontrast zu dem Strand. Leider ist es immer von posierenden Touristen belagert, und so reihe ich mich ein, und lasse mich mit Vany vor dem Wrack fotografieren. Auf der Rückfahrt wählen wir die letzte Sitzreihe im Bus – weil da immer die coolen Leute sitzen, und weil auf den holprigen Inlandsstraßen der Insel der Platz da hinten eine wahre Achterbahnfahrt ist. Vany kann kaum aufhören zu lachen, leider sind wir nach zwanzig Minuten wieder an der Fähre zum Festland. Den Abend verbringe ich im Woolshed-Hostel, hier wohnt Vany, und mit einer hauptsächlich deutschsprachigen Gruppe quatschen wir bis tief in die Nacht.

Nach Norden

Schweren Herzens verlasse ich Sydney, bei Hildegard und Walter habe ich mich richtig wohl gefühlt. Die Route geht nach Norden, Richtung Cairns, wo ich in ca. drei Wochen mein Auto abgeben werde. Aber erst noch ein kleiner Abstecher nach Manly Beach, der zweit berühmteste Strand von Sydney. Vielleicht gerade weil ich Bondi Beach doch recht kurz abgehandelt habe, will ich zumindest hier etwas Zeit verbringen, und Manly liegt eher an der Route nach Norden. Dort angekommen sehe ich alle Elemente eines mondänen Strandbades – eine baumbewachsene, großzügige Strandpromenade, ein schöner Sandstrand, ein paar Surfer im Wasser, eine Surfschule, die Trockenübungen am Strand macht, um ein felsiges Kap geht ein befestigter Weg und hinter der Strandpromenade eine bunte Ansammlung von Läden, Cafés, Restaurants und Hotels der gehobenen Preisklasse. Damit ich das alles sehe, muss allerdings der Scheibenwischer dauernd laufen – auch Sydney ist traurig dass ich fahre und weint mit einem kontinuierlichen Nieselregen. Das trübt das Gesamtbild doch erheblich, und nach 10 Minuten, die ich mit der Kamera – diese meist in einer Einkaufstüte geschützt – umherstreife, erkenne ich die Sinnlosigkeit und wende mit endgültig nach Norden. Der kleine Abstecher hat mich allerdings bestimmt dreieinhalb Stunden gekostet, vielleicht auch durch meinen sturen Verzicht auf Mautstraßen bedingt (ich traue dem Braten nicht, dass der Mietwagen registriert ist, und die alles problemlos per Videomaut regeln, so habe ich meinem Navi erklärt er soll doch bitte die Mautstraßen einfach meiden). Mein nächstes Ziel ist der Waterfall Way, im Reiseführer nur fünf Zentimeter nördlich von Sydney, aber auf der Straße zieht sich das erheblich mehr. Jedenfalls schaffe ich es an dem Tag nicht mehr dorthin, ich nehme ein billiges Motel um am nächsten Morgen früh aufzubrechen.
Am nächsten Morgen ist es weiterhin trüb, ich mache mich dennoch auf die Piste. Von Bellingen an der Küste windet sich eine kurvige Straße ganz nach meinem Geschmack auf die küstennahe Hochebene. Das erste Etappenziel ist der Dorrigo National Park, ein unwegsames Tal mit Gondwana-Regenwald. Am Rand des Tals (eher ein Canyon) ist ein schönes Besucherzentrum, ein einfühlsam gedrehter Film zeigt das Leben in dem Regenwald, beschreibt aber auch die Urbarmachung dieses Gebietes durch die ersten westlichen Siedler. Dieser Teil des Regenwalds konnte so lange erhalten bleiben, weil das Tal so unwegsam und unzugänglich ist. Danach wandere ich noch ein paar der kurzen Naturpfade, ganz stilecht in Flip-Flops, und kehre schließlich nach fast zwei Stunden wieder an das Rand des Canyons zurück. Keine hundert Meter hinter der Kante wandelt sich die Landschaft in fruchtbares Weideland, das wird wohl früher auch Regenwald gewesen sein. Aber satte Kühe und danach satte Menschen gehen vor. Mal wieder trifft mich die Erkenntnis, wie wir Menschen unseren Planeten bis auf’s letzte auszutzeln, und frage mich, ob die Natur da überhaupt eine Chance hat. In Ländern wie Australien ist die Gesellschaft ja immerhin wohlhabend genug, um sich heute solche Nationalparks zu leisten, aber in anderen Gegenden, wo die Menschen wirklich um ihre Existenz kämpfen? Nicht ohne die Ironie davon zu sehen, setze ich mich alleine in meine ledergepolsterte Familienkutsche und fahre nachdenklich weiter.
Durch großartige Landschaften – mit einigen Abstechern zu Wasserfällen – fahre ich die Route weiter nach Norden, durch goldfarbenes trockenes Weidegras, mit einigen wirren Bäumen mitten drauf. Die Sonne senkt sich langsam, dadurch werden die Farben noch intensiver. In Tenterfield biege ich nach Armidale ab, wieder zu Küste und der entsprechenden Küstenstraße. Die Straße macht richtig Spaß; mein Passat ist zwar kein Sportwagen, aber hat doch ein vernünftiges Fahrwerk, und ist sportlicher abgestimmt als der Nissan Pulsar den ich hier kurz hatte. Ich sehne mich nach meinem Auto, aber da es jetzt zügig dunkel wird, kann ich die Straße sowieso nicht auskosten. Ein beleidigt dreinguckendes Känguru hinter einer Brücke erinnert mich auch an die wirklichen Gefahren hier, und ich fahre aufmerksam und moderat weiter; mache mich dabei auf die Suche nach einer Unterkunft.
„Es ist sauber“. Das ist fast die positivste Aussage zu einigen der Motels, die ich hier aufsuche, wenn das nächste echte Ziel heute nicht mehr erreichbar ist. So auch meine Unterkunft in Casino. Die Wände beige gestrichener Kalksandstein, UV-geschädigte Plastikmöbelierung im Bad, und an der Decke eine flackernde, nackte Neonröhre. Äh, ich meine natürlich eine freibrennende kaltweiße T12 Leuchtstofflampe mit konventionellem Vorschaltgerät. Interessanterweise hängt auch hier ein Bild von einer griechischen Insel an der Wand, wie in gefühlt 90% der Motelzimmer. Weiß getünchte Häuser mit blauem Kuppeldach – ist das Santorin? Und billig sind die Motels auch nicht, meist neunzig Dollar, also sechzig Euro, aber – wenigstens sauber. Als Abendessen gibt es heute mal wieder mein Standard: Fladenbrot mit Hommus. Das Fladenbrot ist nicht so fluffig wie normales australisches Brot, und mit dem Hommus, der hier australisch aufbereitet wird, also mit zehn Geschmacksrichtungen und Toppings, schmeckt es richtig lecker. Am nächsten Morgen um zehn geht’s weiter, erfreulicherweise ist das die übliche Check-Out Zeit, und ich bin nicht in Versuchung noch länger auszuschlafen.
Nimbin
„The law is the crime“. Gemeint ist das Gesetz welches in Australien Hanf verbietet, zumindest bestimmte bewusstseinserweiternde Ausprägungen davon, und der Satz findet sich mehrfach – auf Aufklebern, T-Shirts und sonstigen Artefakten – im Hemp Embassy in Nimbin. Nimbin ist ein kleiner Ort im Norden von New South Wales, in dem 1973 ein Aquarius Festival stattfand. Damals traf eine große Gruppe von Menschen mit alternativen Lebensvorstellungen – Hippies genannt – hier ein, und einige von ihnen hatten wohl keine Rückfahrkarte. Sie blieben, und krempelten das wirtschaftlich daniederliegende Dorf um. Heute ist Nimbin eine Art Zentrum für alternative Subkultur, die Hauptstraße ist gesäumt von bunt bemalten Häusern mit Läden die Hanfprodukte und andere Auswüchse des leicht Esoterischen feilbieten. Auf der Straße sieht man originale Hippies, mit langen, grauen Haaren, Tätowierungen und schlabberigen Klamotten; aber auch moderne Aussteiger, mit langen, ungewaschenen Haaren, Tätowierungen und schlabberigen Klamotten. Ein Aushang am Community Center macht Werbung für eine Nacktfahrradfahrt, Schilder fordern auf nicht HIER zu dealen, wirken aber nicht so, als ob sie die Notwendigkeit dieser Aktivität prinzipiell in Frage stellen. Und ich mittendrin. Dankenswerterweise ist mein Auto ziemlich schmutzig, und ich habe immerhin einen alten Mann als Anhalter in die Stadt gebracht. Dennoch verzichte ich bei meinem ersten Rundgang auf die Kamera, um nicht zu sehr aufzufallen. Ich werde zweimal angesprochen, ob man mir mit ‚irgendwas‘ helfen könnte, aber ich lehne freundlich ab. Interessant, dass der Haufen von den Behörden wohl offensichtlich halbwegs in Frieden gelassen wird, wahrscheinlich denkt sich die Staatsmacht, dass es besser ist die ganzen Typen auf einem Haufen zu haben. Am Ende noch ein kurzer Rundgang durch’s Nimbin Museum, eine wahre Rumpelkammer von diversen Zeitungsausschnitten und Hommagen an Hanf, das Hippie-Image wird durch drei VW-Busse der ersten Generation verstärkt (ausgeweidet und aufgeschnitten, aber damals wussten sie’s halt nicht besser). Die Leute hier sind auch stolz darauf, dass sie einige Zeit nach dem Festival eine der ersten erfolgreichen Ökoproteste gegen die Abholzung eines alten Waldes durchgeführt haben, heute protestieren alle einhellig gegen Coal Seam Gas, der australische Begriff für mittels Fracking erschließbares Erdgas. Dann noch ein kurzes Mittagessen mit dem Niederschreiben dieser Eindrücke, noch ein paar Fotos, und ich mache mich wieder auf den Weg nach Norden.

In Sydney

Für Wooma, Pinksta und Mr. Brown ist es ein guter Tag. Es hat sich gelohnt, heute im SeaLife Aquarium in Sydneys Darling Harbour zu sein. Nicht immer sieht man so eine Auswahl: große und kleine; weiße, braune, gelbe und schwarze; dicke und dünne; junge und alte; verliebte und Familien, Kinder und kichernde Teenies. Wooma, Pinksta und Mr. Brown sind kleinen Pinguine im Aquarium, und stellen neben den Haien und dem Entenschnabel-Platypus die größte Attraktion hier dar. Am witzigsten finde ich allerdings den ‚Ornate Wobbegong Shark‘ – ein häßlicher Hai, der aussieht, als wäre er in einem rosa Sofabezug eingekleidet. Die Riesenauswahl an Touristen geht mir allerdings etwas auf den Keks; so schlimm war’s bislang noch nicht in Sydney.
Vor drei Tagen fing es mit einem kurzen Spaziergang zum Darling Harbour an. Der Weg führt mich zuerst zu einem Chinese Friendship Garden, bei den Eintrittspreisen besinne ich mich aber – schließlich war ich eben erst in Asien, da brauche ich jetzt keinen besinnlichen, nach den Regeln des Feng Shui angelegten Park. Statt dessen setze ich mich in den Schatten seiner Wand und mache die Feinplanung für den Sydneybesuch. Ein größerer, weisser Vogel erregt meine Aufmerksamkeit und wird fotografiert: Format schlankes, hochbeiniges Hühnchen, mit einem schwarzer Kopf und einem etwa fünfzehn Zentimeter langen, gebogenen Schnabel. Am Hinterkopf ist das schwarz wie bei einer am Fersen durchgescheuerten Socke unterbrochen. Ich schleiche mich an ihn heran, um das seltene Tier zu fotografieren – in den nächsten Tagen sehe ich ihn aber in Massen auf fast jedem Stück grün.
Gegenüber wird das Sydney Convention Center mitsamt seinem Monorail gerade abgerissen, obwohl es noch gar nicht so alt oder kaputt aussieht. Offensichtlich hat man hier Geld. Als ich weiter um den Hafen schlendere sehe ich einen Segelbootverleih, auch stundenweise – aber alleine sind die 800 AU$ für sechs Stunden doch etwas viel. In einer Gruppe wäre die Hafenrundfahrt auf eigener Faust nun geritzt. An den Stegen von Darling Harbour liegen auch einige der Schiffe, die zum National Maritime Museum of Australia gehören, die werde ich mir an einem anderen Tag angucken. Außerdem merke ich mir eine Hafenrundfahrt für den nächsten Tag vor.

Empfehlungen folgend nehme ich die Fähre zur nächsten Bucht des Hafens – das rechteckige Becken von Circular Quay. Die Fahrt dorthin führt unter der berühmten Harbour Bridge durch, und erlaubt ein paar Ansichten der Oper von See aus. Ein Schild bringt mich zu schmunzeln: die Fährgesellschaft übernimmt keine Haftung, wenn man an Bord des Schiffes nass wird. Ich überlege, ob ich die Stadt Sydney beim nächsten Regenguss verklagen könnte, wenn meine Kamera oder ich nass werde – schließlich hat mich keiner gewarnt. Ich schlendere am Circular Quay ein wenig herum, und beschließe die Oper mit einer entsprechenden Tour zu besichtigen. Das Opernhaus ist tatsächlich ein größeres Kulturzentrum wie der Münchner Gasteig, zwei große Säale und mehrere kleinere Theater. Der Führer ist unterhaltsam, erzählt einiges von der Geschichte des Opernhauses, erzählt einige Anekdoten von Darstellungen, die sich die gschamigeren nicht ansehen sollten, und beschreibt auch die neueste Inszenierung von Carmen, wo ebendiese auf einem Pferd auf die Bühne reitet. Einmal hatten sie dazu ein neues Pferd, Kiko, genommen, was dann auf der Bühne etwas nervös wurde und eine kleine Schweinerei hinterließ. Zum Schluss gehen wir noch in den Vorstellungsraum für das Symphonieorchester. Die Halle ist wirklich beeindruckend, eine Kathedrale der Musik, ein Eindruck, der durch die riesige Orgel unterstrichen wird. Leider ist das Fotografieren nicht erlaubt, schließlich gibt es am Ende der Tour noch ein käuflich zu erwerbendes Souvenirfoto für vierzig Dollar, wo man digital in den Raum eingefügt wird. Da ich mich an das Verbot nicht gehalten habe, kann ich sparsam sein.

Ich schlendere noch kurz durch die Rocks, gewisserweise die Altstadt von Sydney. Viel ist davon nicht mehr übrig, es war auch keine klassische schöne Altstadt, damals. Ein großer Teil davon ist unter der südlichen Zufahrt der Harbour Bridge verschwunden, der Rest der vergammelten Buden wäre in den 1970er einem Neubauprojekt zum Opfer gefallen, aber Bürgerproteste schafften es letzten Endes, dass die Reste des Viertels erhalten blieben und saniert wurden.

Den zweiten Tag habe ich für das Maritime Museum und eine Bootsfahrt nach Bondi Beach vorgesehen. Als ich gegen zehn zum Booking Office für die Bootsfahrt schlendere, um eine Fahrt am Nachmittag zu buchen, werde ich gefragt, ob ich evtl. auch gleich jetzt fahren würde. Das Licht ist am vormittag besser, also klar. Der Büromensch telefoniert schnell mit dem bereits ablegenden Boot während ich hinhetzte. Der Skipper bekommt fast einen Herzkasper, als ich Anstalten mache, die 70cm zum Boot mit einem beherzten Sprung zu überwinden. Ich werde deutlich auf meinen Platz hinten am Kai gewiesen, während das Boot wieder festmacht, die Gangway ausgepackt wird, und mir eine sichere An-Bord-geh-Umgebung geschaffen wird. An Bord ist es dann aber richtig nett. Der Motorkatamaran hat Platz für ca. hundert Leute, neben mir sind nur eine Amerikanerin und eine koreanische Familie an Bord. Es gibt keinen Audiokommentar aus der Dose, zwei Crewmitglieder erklären einem persönlich die Sehenswürdigkeiten. Irgendwann kommt Tim, der Skipper, noch zu mir und entschuldigt sich für den rauen Ton – aber er hat Vorschriften, und woher soll er wissen, ob ich siebzig cm springen kann. Die Fahrt führt durch die Bucht von Sydney – ein perfekter Naturhafen, hinaus auf den Stillen Ozean und an der Küste nach Süden bis Bondi Beach. Wegen der Hai-Netze können wir nicht sehr nah an den Strand fahren, aber es reicht auch so. Ich muss ja zugeben, dass ich kein so gigantischer Strand-Fan bin. Ich röste mich nicht so gerne, kann nicht surfen, und fühle mich beim ins Wasser gehen so fürchterlich ausgesetzt – an Land bleibt der Autoschlüssel, und somit Pass, Geld und alle Habseligkeiten. Und Bondi Beach sieht jetzt auch nicht besonders aufregend aus, ist halt nur berühmt, und ich war jetzt da, hab ein Foto, alles gut. (Bondi Beach ist im Süden von Sydney, ich wohne im Norden, ich hätte ewig gebraucht anders dahin zu kommen).

Der Stille Ozean ist auf der Rückfahrt nicht besonders still, und die koreanische Familie kennt sich nicht mit Seekrankheit aus. Der kleine Sohn übergibt sich im Salon über das Kunstledersofa, die Mutter danach an Deck in die dedizierte Tüte. Die Tröstversuche auf Papas Arm quittiert der Kleine, indem er ihm das ganze Hemd vollkotzt. Jetzt ist die Crew voll beschäftigt, und ich verziehe mich auf die Brücke, lasse mir von Skipper den Hafen erklären. Eine Viertelstunde bevor wir wieder zurückkommen gesellt sich der koreanische Papa mit frisch ausgewaschenem Hemd zu mir. Er hat spitzbekommen, dass ich aus Deutschland bin, und interessiert sich für real gelebte Wiederereinigungen. Nach der Rückkehr geht die koreanische Familie ins Hotel, um sich etwas frisch zu machen, und ich besuche das Marinemuseum. Eigentlich wollte ich das komplett ansehen, und noch kurz in das Museum für moderne Kunst, aber schon die drei Ausstellungsschiffe lasten mich voll aus. Ein Zerstörer, ein U-Boot, und ein segelfähiges Replika der HMB Endeavour (mit der James Cook die Ostküste von Nieuw Holland erkundete und danach Neuseeland entdeckte) nehmen mich voll in ihren Bann. An Bord sind Freiwillige, mit denen man sich super über die Schiffe unterhalten kann. Besonders das U-Boot fasziniert mich. Vorsichtig beginne ich meine Fragen mit einen ’nun ja, mein Wissen kommt ja teilweise aus Filmen, aber ist es tatsächlich so, dass…‘. Mir wird beschieden, dass die ganzen Filme eigentlich ein Schmarrn sind, es gibt nur eine Ausnahme, ‚this German film Das Boot ‚ – nun ja, Operation Petticoat meinte ich nicht.

(ich habe nicht nur den Film gesehen, sondern auch das Buch von Lothar Günther Bucheim gelesen, und seine anderen beiden Bücher auch – ich finde sie genial. Ich glaube fast, dass sein Erzählstil mein Schreiben beeinflusst, dass muss ich daheim mal genauer ansehen).
Das Museum schließt, und ich habe die Ausstellungen innen noch gar nicht gesehen. Ich frage naiv, ob es vielleicht einen Rabatt für Wiederholungstäter gibt, aber die Dame beim Ticketverkauf trägt einfach meinen Namen in das ‚Blaue Buch‘ ein, ich darf morgen kostenlos wiederkommen. Und so kommt es, dass ich an meinem dritten Tag in Sydney erst die Ausstellungen in dem Museum ansehe, dann das Aquarium besuche, und zuletzt noch das Museum of Contemporary Art (ich darf’s ja kaum zugeben, aber ich bin gar nicht so traurig, dass nur ein Stockwerk von dreien geöffnet ist, weil die anderen für das 200-jährige Bestehen von Sydney überarbeitet werden; ich bin platt. Am Ende des Tages treibt es mich als Witz in das Löwenbrau-Brauhaus. Das Personal in Dirndl und Lederhosen, drinnen spielt eine kleine Kapelle ‚Ach Du lieber Augustin‘, und ich zahle umgerechnet 36€ für ein mittelmäßiges Schweineschnitzel und eine Halbe Dunkles. Danach bringt mich ein Bus wieder nach Castle Hills, wo ich für die Dauer meines Aufenthaltes untergekommen bin.

Castle Hills, das ist ein Vorort von Sydney, und hier wohnen Hildegard und Walter. Walter und ich arbeiteten beide ca. fünfundzwanzig Jahre bei Osram, können uns aber nicht erinnern, uns dort jemals bewusst getroffen zu haben. Den Kontakt hat mein Ex-Chef Wolfgang hergestellt, ich hatte ein paar Fragen zum Thema Autokauf in Australien, die sich dann aber erübrigten. Jedenfalls beschlossen Walter und ich im Laufe des e-mail Austausches ein Bier zusammen zu trinken, Details würden folgen. Aus der lockeren Verabredung zu einem Bier wird eine Einladung: „Bleib doch einfach bei uns, wir haben genug Platz“. Das ist mir jetzt ziemlich peinlich, ich hatte den Kontakt nicht angestoßen, um mir einen Übernachtungsplatz zu schnorren. Aber verlockend ist es natürlich schon, nach drei Monaten mehr oder weniger anonymen Hotels. Hektisch frage ich bei Wolfgang nach, womit ich den Beiden eine Freude machen könne – Wein, Whisky oder was sonst? Wolfgang meint, dass eine Flasche Whisky und Blumen ideal sind. Ein Einkaufszentrum in der Umgebung verkauft Beides.

So gerüstet folge ich dem Navigationssystem meines Autos zu einem kleinen Palast in Castle Hills. Irgendwie haben Walter und ich bezüglich meiner Auskunft nicht perfekt kommuniziert, meine Ankunft überrascht Hildegard, und sie hat nichts zum Essen vorbereitet. So bekomme ich nur eine Lachs- und Käseplatte als Vorspeise, und einen Leberkäse mit Spiegelei mit Beilagen als Hauptspeise. Hätte das mit der Ankündigung richtig geklappt, wäre ich wahrscheinlich am ersten Abend geplatzt. Der Abend wird, wie die nächsten beiden auch, total nett. Die beiden wohnen mit Familie seit elf Jahren in Australien, werden da wohl auch bleiben. Wir tauschen uns über Australien aus, erinnern uns gerne an die Zeit bei Osram zurück, und diskutieren über unsere berufliche Zukunft. Walter vertreibt hier mittlerweile Außenleuchten von Hess, wir unterhalten uns über die Optimierung von Websites; die Seite www.formandlight.com.au wird mittlerweile als erster Treffer bei Google angezeigt, wenn man „architectural designed outdoor lighting“ sucht.
Etwas später inspizieren wir Walters Bar (der Whisky steht noch verpackt auf dem Küchentisch), und ich muss feststellen, dass Walter eigentlich nur Cognac mag, und keinen Whisky. Ich muss ein ernstes Wörtchen mit Wolfgang reden, aber immerhin mache ich so seinem Sohn eine Freude – und Walter gelobt den Whisky vorbehaltlos zu probieren – das wird ein harter Übergang von eher süßem Cognac zu einem torfigen Talisker. An einem Abend bekomme ich einen kleinen München Flash: Die beiden haben einen Tatort aufgenommen, ein Münchner noch dazu, „Allmächtig“. Der spielt auch teilweise in den Alpen, ich bekomme Heimweh. Verstärkt wird das noch durch ein am gleichen bekommenes Mail – ein Artikel im Handelsblatt berichtet über das Video einer Produktionsfirma, die die Mutter aller Imagefilme gedreht hat, im Internet mittlerweile über 200.000 mal gesehen. Sujet ist ein Münchner Obststand, mit Worthülsen, wie ich sie bis vor einem halben Jahr auch absonderte, wird das Unternehmen von Didi Schneider beschrieben, getragene Rhetorik beschreibt Qualitätskontrolle und Logistik (Didi probiert einen Apfel und fährt eine Sackkarre über die Straße), alles natürlich mit klarer Kundenorientierung. Der Kommentar eines Freundes zieht Parallelen zum Unternehmensfilm auf der Osram Hauptversammlung, nur die Birnen wären andere, und ich muss herzlich lachen. Dazu einige Bilder von München und das bayrisch des CEOs – keine Frage, ich freue mich auch schon jetzt auf’s wiederkommen.

Dennoch, von allen australischen Städten hat mir Sydney am besten fefallen – Danke Hildegard und Walter!